miraclegames.de
Community
Neues vom Grabbeltisch
von Tobias "TobiH" Henke
14.09.2009

Herzlich willkommen auf meinem persönlichen Grabbeltisch, auf dem aktuell gerade unsortierte Gedankenschnipsel zu folgenden Themen herumfliegen:

Standard nach der Rotation
die europäische Grand-Prix-Szene
neue Pros braucht hat das Land

Beginnen will ich mit Standard. Aber keine Sorge: Dass sich über künftige Decks noch nicht allzu viel sagen lässt, ist mir durchaus bewusst, und deshalb lasse ich es auch bleiben. Stattdessen konzentriere ich mich auf einen Aspekt, der bereits zweifelsfrei feststeht.

Liebling, ich habe das Standardformat geschrumpft!

Demnächst, und zwar exakt am 2. Oktober, verlassen uns der Lorwyn-Block und der Shadowmoor-Block – nein, nicht auf Nimmerwiedersehen, zumindest im Extended wird es sogar sehr bald ein Klassentreffen der Jahrgangsbesten geben. Aber was das Standardformat anbelangt, dürfen Figure of Destiny, Bitterblossom, Cryptic Command und all die anderen in Kürze beseite gelegt werden; es steht eine Rotation gewaltigen Ausmaßes an!

Die beiden Miniblöcke der Saison 2007/2008 waren jeder für sich zwar mini, zusammengenommen im Vergleich zu einem normalen Einzelblock jedoch maxi, oder in Zahlen insgesamt 897 Karten stark. Der Alara-Block war hingegen ziemlich klein (524 Karten) und mit dem Wechsel von Tenth Edition zu Magic 2010 hat das Core-Set ebenfalls 134 Karten abgespeckt. Zendikar, was Anfang Oktober nahtlos den Platz von Lorwyn/Morningtide/Shadowmoor/Eventide einnimmt, ist zwar wieder etwas größer als Shards of Alara (um 20 Karten), dafür aber immer noch bedeutend kleiner als Lorwyn (nämlich um 52 Karten). Das Format schrumpft.

Zahlenleere

Hier die Zahlen in der praktischen Übersicht, für einen noch krasseren Unterschied einfach mal mit dem Standardformat, wie es zwischen dem 30. April und dem 16. Juli dieses Jahres bestanden hat:

Tenth Edition
Lorwyn
Morningtide
Shadowmoor
Eventide
Shards of Alara
Conflux
Alara Reborn
——————

1775 Karten

1775 – das ist auch historisch betrachtet eine riesige Zahl, sicherlich einer der größten Kartenpools, mit denen jemals Standard gespielt wurde. Demgegenüber steht der Pool, den eifrige Deckkonstrukteure ab dem 2. Oktober nutzen können:

Shards of Alara
Conflux
Alara Reborn
Magic 2010
Zendikar
——————

973 Karten

Ein Teil dieses massiven Ungleichgewichts geht natürlich auf das Konto des Rotationsprinzips an sich. Wann immer drei Sets herausrotieren und eines hineinrotiert, wird's kleiner. Aber in diesem Fall sind es eben vier Sets, die uns verlassen, während zusätzlich die Neuerscheinungen neuerdings wesentlich handlicher ausfallen. Zum Beispiel werden sich selbst nach der Vervollständigung des Zendikar-Blocks nur um die 1347 Karten im Standard tummeln, satte 24 Prozent weniger als zur Hoch-Zeit im dritten Quartal 2009.

Weniger ist mehr

Viele von euch werden das bereits wissen, aber sicher nicht alle, und manchen wird die allgemein akzeptierte Ansicht, nach der in erster Linie mehr mehr ist, vielleicht die Sicht versperren: Weniger Karten sind tatsächlich eine gute Sache!


Warum? Nun, da wäre zum einen der finanzielle Aspekt: Die Chance, in einem Booster eine bestimmte Karte zu öffnen, liegt einfach höher, und das überträgt sich üblicherweise auf alle Ebenen des Sekundärmarkts. Seltene Karten sind nicht so selten, teure Karten nicht so teuer. Je kleiner der metaphorische Heuhaufen, desto leichter findet sich darin die Nadel.

Zudem stellt ein kleiner Kartenpool eine größere Herausforderung an den Deckbau: Wenn sich für jedes Problem zig Lösungen anbieten, verliert das Problem an Bedeutung. Wenn es unmöglich ist, die Fülle an Optionen zu überblicken, erübrigt sich die Notwendigkeit, es zu versuchen. Wenn alles möglich ist, ist nichts nötig...

Und dann ist es jedes Mal eine solche Verschwendung: Natürlich sind zwangsläufig immer irgendwelche Karten die besten und alle anderen für Constructed-Belange Außenseiter, aber insbesondere der Lorwyn-Block enthielt reihenweise interessante, prinzipiell spielbare Optionen, die einzig und allein deshalb nie irgendwo aufgetaucht sind, weil es eben andere gab, die noch besser waren. Taurean Mauler kann gegen Ashenmoor Gouger oder Boggart Ram-Gang nicht anstinken; Masked Admirers oder Wren's Run Packmaster sind völlig undenkbar, solange Chameleon Colossus existiert; statt Thoughtweft Trio nimmt man halt lieber Ajani Goldmane oder Wilt-Leaf Liege; und Kinsbaile Borderguard wird von Spectral Procession ausgestochen. Eine Riesenverschwendung von interessantem Design.

Wir sind wieder wer!


In vielen, vielen Sportarten ist es offenbar üblich, Spielerstatistiken nach Nationalitäten getrennt zu führen. Bei Magic hat sich das aus irgendeinem Grund ebenfalls etabliert, aber da es sich hier um einen Denk-Sport handelt, sind wir uns zumindest im Klaren darüber, dass das eigentlich Humbug ist. Sind wir doch, nicht wahr?

Schon Terry Pratchett hat festgestellt, dass Zauberer dazu in der Lage sind und auch dazu neigen, besonders kleine Fraktionen zu bilden, im Zweifelsfall bestehend aus... einem Zauberer. Und mit Ausnahme der Team-Weltmeisterschaft verlaufen sämtliche Verwerfungslinien zwischen Spielergruppen, wenn überhaupt entlang von Landesgrenzen, dann gewiss eher zufällig oder aus rein praktischen Erwägungen.

Nachdem das gesagt ist, kommen wir nun zu einer kleinen Tabelle. Noch vor einiger Zeit wurde auf deutschsprachigen Seiten des Öfteren beklagt, wie schlecht die Deutschen im internationalen Vergleich abschnitten. Und auf der ganz großen Weltbühne der Pro Tour schaffen es momentan tatsächlich nur Sebastian Thaler und Jan Rueß mit einiger Regelmäßigkeit bis ins Rampenlicht. Geht man allerdings eine Ebene tiefer, zu den Grand Prix, zeichnet sich ein anderes Bild. In Europa haben dieses Jahr bisher fünf Grand Prix stattgefunden (in Rotterdam, Hannover, Barcelona, Brighton und Prag) und deren Top-8-Spieler verteilten sich auf folgende Nationalitäten:

[DEU]
[CZE]
[NLD]
[BEL]
[AUT]
[JPN]
[USA]
[ESP]
[FRA]
[BRA]
[GRC]
[HRV]
[IRL]
[ITA]
[POL]
[PRT]
[SCO]
[SVK]
[SVN]
[SWE]

Jedes Kästchen steht für eine Top-8-Platzierung, blaue für erste Plätze.

Na, das sieht doch richtig ordentlich aus. Zwar muss man die Einschränkung machen, dass Bevölkerung, zentrale Lage und generelle Reisewilligkeit sich möglicherweise stärker in der Tabelle niederschlagen als relative Spielstärke (Antrittszahlen nach Nationalität sind nicht durchgängig verfügbar), aber Letzteres ist ohnehin ein legitimes Mittel, um Magic-Engagement zu messen. Und im Vergleich zur Vorjahressaison (mit Turnieren in Stuttgart, Wien, Brüssel, Birmingham, Madrid, Kopenhagen, Rimini und Paris) hat sich an der zentralen Lage Deutschlands ja nichts geändert und da landeten die deutschen Spieler noch abgeschlagen hinter Frankreich (mit zehn Top 8), den Niederlanden (mit acht Top 8), Italien (mit sechs Top 8) sowie Japan, der Schweiz und Spanien (mit jeweils fünf Top 8).

Es bleibt nur die Schlussfolgerung, dass es in der Tat aufwärts geht, und das liegt selbstverständlich zuallererst an...

Einzelpersonen

Hier gibt es vor allem drei Newcomer, deren diesjährige Erfolge Gefahr laufen, nicht ganz die Anerkennung zu finden, die sie verdienen. Gerade auch weil manch einer sein Licht gerne unter den Scheffel stellt.


Lino Burgold:
Der 18-jährige Freiburger hatte im März überraschend beim Grand Prix in Hannover den Titel davongetragen – nicht zuletzt überraschend für ihn selbst! In seinem Turnierbericht (Teil 1, Teil 2) listete er detailliert jedes Misplay auf, beschrieb jeden Spielfehler und vergaß darüber ein wenig die vielen, vielen Dinge, die er an dem Wochenende richtig gemacht haben muss. Ganz gleich was Lino euch vielleicht erzählen will, Glück allein reicht nicht. Niemand gewinnt einen Grand Prix, wenn er schlechtes Magic spielt.

Und das tut er nicht! Ich habe schon reichlich hochkarätige Partien gesehen, aber das Viertelfinale der diesjährigen Deutschen Meisterschaft zwischen ihm und André Luff ist mir in Erinnerung geblieben, vor allem Spiel 1. Das Kithkin-Mirror eignet sich nicht unbedingt für riskante Bluffs, spektakuläre Tricks oder urplötzliche Wendungen, und all das gab es auch wirklich nicht. Stattdessen waren es lauter kleine Dinge: Hier ein Block, da kein Block, und vor allem passte er genau den richtigen Moment ab, um selbst in die Offensive zu wechseln. Dass er seinen Kontrahenten an die Wand gespielt hätte, lässt sich nicht einmal sagen, aber in jedem Fall überwand er das Handicap eines deutlich schwieriger zu bedienenden Draws: Während sein Gegner in den ersten drei Zügen zwei Goldmeadow Stalwart, zwei Figure of Destiny und Wizened Cenn hatte und im vierten Zug noch einen Wizened Cenn nachlegte, beschränkte Linos Draw sich auf Figure of Destiny, Honor of the Pure, gar nichts in Turn 3 und dann Ranger of Eos. Es lässt sich kein einzelnes Ereignis herauspicken, das dazu führte, dass dieses Spiel kippte, doch am Ende hatte Lino es zur Verwunderung aller Zuschauer irgendwie geschafft.

Für den Sieg in Hannover gab's zehn Pro-Punkte, für den dritten Platz bei der DM noch einmal sechs Punkte, und bei der Pro Tour in Honolulu fielen immerhin zwei ab. Damit steht Lino insgesamt bei 18 Punkten und auf Platz 3 im Rennen um den Titel des „Rookie of the Year“. Den beiden Erstplatzierten hat er allerdings voraus, Mitglied im National-Team zu sein, was bei der Weltmeisterschaft in Rom helfen kann, den Vorsprung von sechs Punkten einzuholen. Noch etwas wichtiger dürften aber die Grenzwerte von 20, 25 und 30 sein. 20 Punkte – das entspricht Level 4 im „Pro Players Club“ – hat er bereits mit der Teilnahme an der WM sicher, und falls das Team Deutschland nicht das peinliche Ergebnis von 2006 wiederholt, auch 21 und potenziell sehr viel mehr. Mindestens zwei weitere Punkte könnte er sich bei der Pro Tour in Austin abholen. 25 Punkte und damit Level 5 muss das Jahresziel lauten, und mit einem weiteren soliden Ergebnis wäre Level 6 durchaus in realistisch greifbarer Nähe.

Reinhold Kohl:
Der 29-jährige Diplom-Geologe ist zwar schon länger dabei, aber der Durchbruch kam erst dieses Jahr. Wobei Durchbruch ein viel zu brachiales Wort ist, denn seine Ergebnisse übersieht man ganz leicht einmal. Nichtsdestotrotz sind zwei Grand-Prix-Top-8 (in Rotterdam und Brighton) innerhalb eines halben Jahres beileibe kein Pappenstiel. Ein Mal könnte man auf Glück schieben, spätestens das zweite Mal bringt zwingend eine gewisse Reputation mit sich.

Die zwei Grand-Prix-Top-8 waren gut für je fünf Pro-Punkte, und zwei Pro-Tour-Teilnahmen ergaben zusammen weitere fünf. 15 Punkte sind gleichbedeutend mit Level 3. Das wiederum verschafft „Reini“ eine Einladung zur WM, und Brighton qualifizierte ihn bereits für die Pro Tour in Austin. Jedes dieser anstehenden Events vergibt noch zwei Pro-Punkte als absolutes Minimum, und soweit es außermagische Verpflichtungen zulassen, gehe ich felsenfest davon aus, am Ende der Saison „Reinhold Kohl – Level 4“ lesen zu können (und drücke natürlich die Daumen für mehr).

Jan Schmidt:
Zehn Lifetime-Pro-Punkte sind nicht wirklich viel, und da Pro Tour Austin schon in viereinhalb Wochen stattfindet, würde es mich nicht wundern, falls es dieses Jahr dabei bliebe, aber ich wiederhole: Egal wie bescheuert ein Format auch sein mag – und M10-Limited gilt bei manchen ja als ziemlich bescheuert –, niemand gewinnt einen Grand Prix, wenn er Magic-mäßig nicht einiges auf dem Kasten hat.

Bei dem, was ich in Prag gesehen habe, gab es sicher Spielzüge, die man besser hätte machen können. (Andererseits sollte man nie vergessen, dass während der Top 8 schon ein ganzer Tag voll anstrengendem Magic hinter den Spielern liegt, ganz zu schweigen von dem psychologischen Druck durch die Zuschauermassen vor Ort und die Weltöffentlichkeit an den Bildschirmen daheim.) Doch an einer Stelle hat Jan alles richtig gemacht: Sein Gegner hatte gerade Acidic Slime gespielt, in erster Linie als todbringenden Blocker, und blickte auf der Suche nach einem möglichen Ziel zu Jans Seite des Tisches herüber. Mit einer Mischung aus Hilfsbereitschaft und Ungeduld, freundlich, aber nicht so sehr, als dass es verdächtig wirkte, bot ihm Jan daraufhin sein Glacial Fortress als „offensichtlich“ sinnvollste Option an...

Nach dem Spiel fiel dann der Ice Cage auf, den Jan vor Urzeiten einmal ausgespielt hatte und der sich selbstverständlich auf der anderen Seite des Spielfelds befand, zusammen mit der verzauberten Kreatur etwas abseits liegend, komplett vergessen. Bei der verzauberten Kreatur handelte es sich um eine Deadly Recluse, welche den (mehr oder weniger) siegbringenden Guardian Seraph bestimmt nur allzu gern geblockt hätte. Und bei dem Spiel handelte es sich um das allesentscheidende dritte Duell im Viertelfinale gegen Julien de Graat, welcher seinerseits ein Deck mit Sleep und Overrun pilotierte, ohne Deadly Recluse aber niemals in der Lage war, eine stabile Boardposition herzustellen.

Ja, das hätte durchaus ganz anders ausgehen können!


Genug Geschichten für heute. Falls ihr auch einmal ein wenig Ruhm und Ehre wollt – die nächste Gelegenheit bietet sich am 7. und 8. November beim Grand Prix Paris, der übrigens in Insiderkreisen als ganz heißer Anwärter für einen neuen Teilnehmer-Rekord gehandelt wird.

Schaltet nächste Woche wieder ein, wenn es an dieser Stelle hochgradig spekulativ wird! Bis dahin tappt für euch weiter im Dunkeln...

TobiH
#496




Kommentiert
.in unserem Forum


Weitere Artikel/Berichte von Tobias Henke

[30.06.2024]Aus den Archiven: Making the Cut
[07.10.2017]Piratensäbelrasseln, Dinosauriergeheul … und Draft!
[25.07.2017]Verwüstete Wüsten, verwesende Wesen … und Draft!
[16.09.2015]Vorschau: Bestienrufer-Experte
[30.06.2015]Vorschau: Schülerin des Rings


miraclegames.de
 
 
zur Startseite zur Startseite zur Startseite zur Startseite zur Startseite