Extended
Mission: Hawaii – Teil 1: Das Metagame
von Michael Diezel
06.01.2009

Das neue Jahr, zu dem ich Euch noch maximale Erfolge und unproportional viel Glück wünschen möchte, ist nur wenige Tage alt und aktuell schneit es zumindest in Leipzig wie schon seit Jahren nicht mehr. Dieses Wetter lässt sich hervorragend nutzen, um über die durch Menschenhand verursachte Erderwärmung zu philosophieren oder einen Schneemann zu bauen. Andererseits möchte ich Euch ein nettes Foto nicht vorenthalten:


So sieht es jetzt ungefähr auf Hawaii aus. Verlockend, oder?

Da man dorthin leider nicht so problemlos mit dem Fahrrad kommt, muss man schon auf eine besondere Möglichkeit warten und – wie es der Zufall gerade so will (so schnell geht das manchmal mit der Erfüllung von Neujahrswünschen) – bieten die nächsten Wochen und Monate reichlich Gelegenheiten, diese kleine Reise zu gewinnen. Das Ganze inklusive der Möglichkeit, Pappkarten auf höchstem Niveau zu drehen, was einige wahrscheinlich noch mehr motiviert als die schnöde Aussicht auf Sonne, Strand und Meer.

Alles, was man dafür tun muss, ist einen PTQ zu gewinnen. Diese werden allesamt im Extended-Format ausgetragen, was einige Vorteile bietet:

1) Es gibt ein vorgegebenes Metagame. Das bedeutet nichts anderes, als dass es gerade zwei wichtige Turniere (Worlds und Pro Tour Berlin) gab, bei denen sich die Besten der Welt in ebendiesem Format gehauen haben. Daraus lassen sich eine Menge Rückschlüsse ziehen, welche, das wird noch zu klären sein.

2) Das Format wird sich zu 99% nicht grundlegend ändern – auch nicht durch das Erscheinen einer neuen Edition, nennen wir sie „Conflux". Somit kann man ein Deck zu Beginn einer Saison (also jetzt) noch genauso spielen wie zum Ende (im April). Natürlich wird es einige Änderungen geben und auch geben müssen, aber der Kern wird erhalten bleiben.

3) Die meisten Decks sind schwer oder gar sehr schwer zu spielen, was den besseren Spielern zugute kommt.

Wie so oft gibt es jedoch auch einige Nachteile:

1) Es gibt ein vorgegebenes Metagame. Was ein Vorteil für den engagierten Turnierspieler ist (oder zumindest sein sollte), ist gleichzeitig ein Problem für alle anderen.

2) Wenn ich richtig gezählt habe, umfasst das Format zurzeit 24 Editionen. Dadurch ergeben sich fast unendliche Möglichkeiten und damit fast zwangsläufig sehr starke und schnelle Decks. Der Powerlevel ist so hoch, dass recht häufig unbeeinflussbare Faktoren wie die Starthand oder der einleitende Würfelwurf enorme Bedeutung erlangen. Zusätzlich müssen sich neue Ideen sehr harten Prüfungen unterziehen, was die Innovationen hemmt. Es ist halt nicht so einfach, ein neues Deckkonzept weiterzuführen, wenn man ständig im dritten Zug zum Sideboard greifen darf.

Egal, ob es uns nun gefällt oder nicht, wir müssen damit klarkommen. Ich werde versuchen, in den folgenden Wochen einzelne Decks, ihre Funktionsweisen, Vor- und Nachteile und Variationsmöglichkeiten vorzustellen.

Diese Woche muss jedoch zunächst die Grundlage gesetzt werden, auch wenn das für einige von Euch wahrscheinlich keine weltbewegenden Neuigkeiten bereithält.

Die Grundlage ist eine Analyse des aktuellen Metagames bzw. meine Erwartungen für die ersten PTQs. Da (leider) niemand im Vorfeld sagen kann, welche Decks wirklich gespielt werden, muss man sich auf eine Art „logisches Bauchgefühl“ verlassen. Das bedeutet nichts anderes, als dass es durchaus nachvollziehbare Analysemöglichkeiten gibt (dazu komme ich gleich), aber trotz allem manche Spieler einige scheinbar völlig unlogische Entscheidungen treffen. Ich garantiere also für nichts.


Faktoren, die eine Deckwahl beeinflussen

Die letzten Turnierergebnisse – Welche Decks haben bei den letzten großen Turnieren (in unserem Fall also WM und PT Berlin) erfolgreich abgeschnitten? Gab es in letzter Zeit Extended-Turniere in der Umgebung?

Die meisten Spieler schauen einfach, wer womit erfolgreich war und entscheiden sich dann für eins dieser Decks. Schließlich haben diese schon bewiesen, dass sie es können.

Magic -Artikel – Ihr als Zielgruppe wisst natürlich, dass täglich zahlreiche Artikel online gehen, die sich theoretisch mit einem Format, einem bestimmten Deck oder gar bestimmten Matchups auseinandersetzen. Leider wird die große Masse von Leuten verfasst, die entweder weniger Ahnung als Ihr haben oder dermaßen stur der „einen Wahrheit“ anhängen, dass Ihr eher Euer erfolgreiches Abschneiden gefährdet, anstatt es wahrscheinlicher werden zu lassen. Gute Artikel zu identifizieren, ist leider nicht so ganz einfach (das wäre doch eigentlich ein schönes Artikelthema für den Andi Pischner, oder?) und so muss man jederzeit mit der „neusten Tech“ rechnen – egal wie schlecht sie eigentlich ist.

Menschliche Faktoren – In diese Gruppe fallen all die unvorhersehbaren Faktoren, die nur wenig mit der eigentlichen Deck-Performance zu tun haben. Im Gegensatz zu den professionellen Turnieren spielen sie auf PTQs eine viel größere Rolle.

Zu ihnen gehören u.a.:

Der kleine Danny, dessen Geld nicht für teure Rares ausreicht.

Der talentierte Tom, der mit seiner Testgruppe das Format gebrochen hat. Leider leiht ihm keiner die benötigten Fetchländer.

Der Maschinen-hassende John, der niemals Affinity spielen würde, obwohl es das beste Deck ist.

Peter, der immer von einer kleinen Fee träumt und deswegen jede theoretisch denkbare Sideboardkarte gegen dieses Deck einpackt.

Elli, die nur bei Nacht das Haus verlässt und deswegen ausschließlich die schwarzen Karten auspackt.

Gerade die materiellen Punkte sind nicht zu unterschätzen.

Es folgen die wichtigsten Decks der nächsten Wochen, in der Reihenfolge, wie ich ihr Auftreten erwarten würde:

1. Feen und Feenähnliche
Das meistgespielte (noch dazu erfolgreich!) Deck der Worlds wird meines Erachtens das Deck to beat der ersten Wochen. Die Variationsmöglichkeiten sind dabei ziemlich gewaltig, wenn erst das Grundgerüst aus Kontermagie und Explosivem Sprengstoff steht. Ich vermute, dass sich besonders die annähernd monoblaue Version durchsetzen wird, da diese sich bei meinem Testen als stabiler erwiesen hat.

Neben den nackten Erfolgszahlen ist auch die typische Einstellung vieler Spieler wichtig für den Erfolg dieses Decks: Viele gute Spieler (und oftmals auch solche, die sich dafür halten) bevorzugen Decks, mit denen sie ihre spielerische Überlegenheit ausspielen können. Das klappt natürlich viel besser, wenn ein Spiel länger dauert, wofür ein solches Control-Deck ideal erscheint. Wenn im Umkehrschluss viele gute Spieler dieses gute Deck spielen, bleiben die Erfolge meist nicht aus und so greifen wieder neue gute Spieler zu.

Hinzu kommt, dass es zwar schwer zu spielen ist, aber seit einiger Zeit kaum noch jemand existieren dürfte, der auch die schwierigeren Fragen bei einem Feen-Deck nicht zumindest vorgeführt bekommen hat, da es doch schon länger eine dominante Rolle in anderen Formaten spielt.

2. Zoo
Vom Powerlevel her dem Vorgänger sehr ähnlich und auch das direkte Matchup ist ziemlich ausgeglichen. Wer Spaß am Zuschlagen hat oder einfach eine Menge Zeit zum Rauchen benötigt und zufällig noch vier Tarmogoyf rumliegen hat, wird mit diesem Deck bestens bedient. Durch die Fünffarbigkeit sind auch hier verschiedenste Möglichkeiten in Detailfragen möglich. Aktuell scheint sich Gaddock Teeg im 2-Mana-Slot durchgesetzt zu haben. Bei den Sprüchen versuchen die meisten Decks ihr Glück mit Oblivion Ring und Umezawa's Jitte und entsprechend 21 Ländern.

3. Affinity
Dieses Deck erhält seine vielleicht überraschend hohe Position durch einige einfache Überlegungen:

Es ist billig in der Anschaffung und einfach in der Bedienung.

Es hat vielleicht das beste Matchup von allen aufgelisteten Decks gegen die Feen.

Typische Hass-MU (Elfen etwa) werden wohl weniger gespielt werden als zuletzt.

Aktuelle Trends ersetzen den Myr Enforcer immer häufiger durch Master of Etherium. Dessen fetter Body ist im Duell gegen die Zoo-Magier Gold wert und außerdem eine weitere Möglichkeit ein letales Fatal Frenzy anzubringen, was besonders in den Kombo-Matchups die primäre Siegoption darstellt.

4. Rock
Hierunter sammle ich all die Decks, die mindestens Schwarz und Grün spielen und in Runde 2 gern den Sakura-Tribe Elder legen. Meist unterscheidet man eine Death Cloud-Variante von der bunteren Version mit Gifts Ungiven, aber auch schnellere Doran-Gebilde sind theoretisch möglich.

Obwohl diese Art von Deck recht inkonstant und schwerfällig daherkommt, findet es traditionell seine Anhänger. Wahrscheinlich liegt es daran, dass man zumindest theoretisch für jedes Deckkonzept eine passende Antwort hat.

5. Elfen
Der Superstar von Berlin hat wohl mit zwei Problemen zu kämpfen. Zum einen ist man nach einer solchen Gala gefürchtet und wird entsprechend gehatet, zum anderen ist es wirklich unglaublich schwer zu spielen, besonders wenn der fiese Gegner sich wehrt und man nicht in Ruhe seine Memory-Kombo durchziehen kann. (Für diese benötigt man wiederum hauptsächlich physische Skills sowie eine Menge Würfel.) Ich denke, dass dieses Deck im Laufe der Saison eine sehr gute Wahl darstellen wird, da es durch ein unvorbereitetes Feld einfach hindurchgeht, wie Berlin gezeigt hat.

6. Burn
Für alle, die keine Ahnung vom Format haben. Von diesen tauchen bei PTQs erstaunlich viele auf. Zusätzlich benötigt es auch nur einen begrenzten Geisteseinsatz, den Brand ins richtige Gesicht zu schießen. Da das Deck auch noch sehr billig ist und durchaus gut gegen die wichtigen Decks mitspielt, wird man wohl häufiger auf ein angreifendes Spark Elemental treffen…

7. Swans of Bryn Argoll
Ein Geheimtipp, der ein viel besseres Matchup gegen die Feen hat, als man zunächst glaubte. Allerdings immer noch kein gutes. Die Kombination aus Kontermagie, Firespout und schneller Clock machen das Deck darüber hinaus zum Favoriten in den direkten Duellen mit Kreaturendecks.

8. Tron
Die Alternativmöglichkeit, um Feen zu schlagen, wenn man nicht auf Arcbound Ravager und Co. zurückgreifen möchte. Leider ist man gegen die schnellen Aggrodecks sehr stark auf wenige Karten angewiesen (insbesondere Chalice of the Void), die vor allem nach dem Boarden gut in den Griff zu bekommen sind. Rechnet man jedoch mit einem kontrolllastigen Metagame, kann man sich dieses Decks erinnern.

Die beste Variante schien U/B zu sein, da diese die besten Waffen gegen die Elfen verspricht (Persecute und mehr noch Night of Souls' Betrayal). Mit deren Rückgang greift man jetzt verstärkt auf U/W zurück, die Version, die außerdem die wohl besten Lösungen für Blood Moon bereithält.

9. All-In Red
Wenn man am Morgen aufsteht und feststellt „Ja, heute ist mein Tag“, könnte man es hiermit versuchen. Rein spielerisch sicher nicht die herausforderndste Wahl, aber wenn man länger keine Karten in der Hand gehalten oder einfach keinen Bock hat, sich groß anzuschauen, was der Gegner so treibt, ist es vielleicht ein guter Plan, einfach den Erstrunden-Deus of Calamity zu zeigen. Klappt's, winkt die Insel mit Traumstrand, klappt's nicht, erfährt man es wenigstens schnell, nämlich meist schon von der Starthand.

10. Rest (Storm, Tezzerator, Dredge, Goblins)
Gerade die ersten beiden Decks haben durchaus das Potenzial, einen PTQ zu gewinnen, wenn die Umstände ideal sind. Weiter oben in dieser Liste werden sie zunächst nicht landen, weil es meist das eine oder andere besonders schlechte Matchup unter den wichtigsten Gegnern gibt, so dass man sich nur im Ausnahmefall trauen kann, es damit zu wagen.



So, damit wäre das Metagame bereit. Wichtig ist, dies nicht als starre Konstruktion wahrzunehmen, sondern immer auf mögliche Veränderungen gefasst zu sein. Beobachtet einfach die Ergebnisse der nächsten Wochenenden und schaut, wie sich das Metagame anpasst. Ich werde das natürlich zu gegebener Zeit auch immer mal wieder öffentlich tun, aber sicher nicht wieder in dieser Ausführlichkeit.

All jenen, die ihr Glück und Können in Kruft oder sonst wo auf die Probe stellen wollen, drücke ich die Daumen, damit Ihr dann irgendwann so ausseht wie Oberzauberer Ruess nach einer Woche Honolulu:

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