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Das jüngste Leibgericht
von Tobias "TobiH" Henke
31.08.2009

„Sie haben Kenny getötet!“
— „Ihr Schweine!“


Sie haben Wrath of God getötet und – schlimmer noch bzw. überhaupt schlimm – sie ersetzen ihn in Zendikar durch Day of Judgment. (Mini-Disclaimer: Zumindest geht alle Welt inklusive meiner eigenen kleinen davon aus – offiziell handelt es sich dabei natürlich nur um eine unbestätigte, unsichere und ungemein ungeheuerliche Unformation ungenannter Untergrundquellen a.k.a. die Karte wurde in einer E-Mail an WPN-Turnierveranstalter preisgegeben.)


Magic 2010 hat ein Wrath of God-großes Loch im Raum-Zeit-Gefüge hinterlassen, das Day of Judgment wunderbar zu füllen vermag. Und wisst ihr was? Es wurde auch höchste Zeit!

Lange bevor Magic eine halbwegs kohärente Hintergrundgeschichte hatte, vor all den Romanen, Comics und dem umfrangreichen Planeswalker-Marketing, enthielt das Alpha-Regelheft bereits eine kurze Geschichte über zwei verfeindete Zauberer (Worzel und Thomil), geschrieben von niemand Geringerem als Richard Garfield höchstpersönlich. (Klickt hier!)

Seitdem hat sich zwar viel getan, aber schon seit jenem Urknall des Magic-Multiversums ist Wrath of God eigentlich ein Fremdkörper. Würde Worzel in dieser Geschichte zum Beispiel den Zorn Gottes auf den Plan rufen? Ist es nicht normalerweise gerade derjenige, welcher den Zorn heraufbeschwört, der am meisten unter seinen Folgen zu leiden hat? (Fragt die Leute aus Sodom und Gomorrha!) Und wo kommt überhaupt auf einmal dieser Gott her? Reden wir hier über Monotheismus? Dann reden wir über einen allmächtigen, allwissenden Gott, der sich aus irgendeinem Grund aber trotzdem von einem gemeinen Zauberer so weit manipulieren lässt (für , no less!), Partei zu ergreifen, ja?

Zugegebenermaßen war Wrath of God in der Anfangsphase des Spiels kein sonderlich großer Fremdkörper. In einer Zeit, in der Arabian Nights noch Magics einzige Expansion darstellte, waren Referenzen aus unserer Welt gang und gäbe. Mit Antiquities wurde erstmals eine eigene Hintergrundgeschichte geschaffen – und Wrath of God gleich ad absurdum geführt: Am Ende des großen Bruderkriegs zündet Urza den „Sylex Blast“, der nach allen zur Verfügung stehenden Informationen deutlich mächtiger als ein bloßer Wrath of God gewesen sein dürfte. Außerdem steigt er zum Planeswalker auf... Und damit beginnt das nächste Problem: Zumindest eine Zeit lang galten Planeswalker als mehr oder weniger unsterbliche, allmächtige, gottgleiche Wesen. (Der Fremdkörper wächst und wächst.) Dieser Umstand macht sie als Protagonisten für jegliche Geschichte natürlich denkbar undankbar und wurde dann auch immer mehr erodiert und schließlich abgeschafft.

Weiterhin wurden die Kulturen des Multiversums immer detaillierter ausgestaltet: Während The Dark ist die zauberfeindliche „Church of Tal“ sehr beliebt; Freyalise wird in den Wäldern verschiedener Welten als Gottheit verehrt, Serra sowieso und über Phyrexia herrscht als De-facto-Gott ein gewisser Yawgmoth, komplett mit Priestern und Missionaren. Eigene Priester haben darüber hinaus Titania und sogar Svyelun, goddess of the Pearl Moon! Es gibt ein Dega- Ceta-, Necra-, Raka- und ein Ana-Heiligtum und auf Kamigawa führt man sogar Krieg gegen seine Götter. Auf Ravnica existiert mit dem Selesnija-Konklave eine ungewöhnlich institutionalisierte Naturreligion, während man in Orzhova, the Church of Deals hauptsächlich dem Mammon huldigt. Auf Bant verehrt man Asha, auf Naya gilt bereits jeder 5/3er als kleine Gottheit (mit Progenitus als Pantheon-Obermotz). Und die zweihundertzehn Angehörigen des Klerus, die Magic bislang zählt, zu wem beten die eigentlich? Vermutlich nicht zu Karona, das ist schließlich ein False God. Aber dass sie zu dem grimmigen Gesicht beten, das immer nur dann zwischen den Wolken hervorlinst, wenn es darum geht, alle umzubringen, erscheint kaum wahrscheinlicher...

Selbst wenn man dem Aufgabenbereich des Creative Departments (also den Namen, Anekdotentexten, Bildern, dem „World-Building“ und im Zusammenhang mit dem Karteneffekt dem inhaltlich stimmigen Gesamtkonzept) nur eine winzige Existenzberechtigung zugesteht, selbst dann ist Wrath of God mittlerweile nicht mehr bloß ein kleiner Pickel, sondern ein ausgewachsenes, eiterndes Furunkel. (Mit etwas Glück haben die Amerikaner, obwohl es in ihrer Sprache nicht so offensichtlich ist, auch endlich die Krux mit dem Begriff Crusade entdeckt.)

Day of Judgment wiederum hat zwar einen ähnlichen Anklang, ist aber längst nicht so sehr an ein bestimmtes Gottkonzept gekoppelt – und im Zweifelsfall kann man sich für einen von Menschen geschaffenen Judgment Day auf Skynet berufen. Dass sich im Nebenbeiverfahren eine Gelegenheit bietet, Regeneration aufzuwerten, ist da bloß ein zusätzliches Plus.

Change the World

Vor ein paar Wochen wurde über dailymtg.com zur Teilnahme an einer etwas umfangreicheren Marktforschungskampagne zu M10 aufgerufen. In jenem Fragebogen sollte man zwar überwiegend im Ankreuzverfahren diverse Karten in diversen Kategorien bewerten, aber es gab zumindest eine Frage, zu der man selbst etwas schreiben musste: If you could change one thing about Magic...

Wenn man eine Sache ändern könnte, was würde man sich aussuchen? Was würdet ihr ändern?

Ich hatte kurz überlegt zu schreiben, dass Kampfschaden auf den Stapel gehört, aber obwohl ich davon nach wie vor überzeugt bin, ist es einfach nicht das, was mich am meisten stört. Die bislang ausbleibende Neuauflage von Counterspell? Möglich, aber ebenfalls nicht an erster Stelle. Eine allgemeine Abschwächung von Kreaturen gegenüber Spells? Close second. Stattdessen schrieb ich Folgendes:

Nothing in the game is as flavorful as the color pie; nothing is as easily accessible. Nothing makes players identify with the game as much as being able to say, for example, „I'm a black mage.“ I would love to see a lot more mono-colored decks in tournaments. I would love to see more CC casting costs, or even CCC. Actually, M10 does a pretty good job in this respect, if it wasn't for the fact that blue and black were short-changed for tournament-calibre cards.

Meine Einstellung zu einfarbigen Decks stammt noch aus einer Zeit, die jeglichem Turnierspiel weit vorausging. Wer hat denn, als er anfing, nicht irgendwann einmal ein Deck mit allen Karten einer Farbe, die er besaß, gebaut? Und es ist nicht bloß Nostalgie – einfarbige Decks sind von einem Flavor-Standpunkt aus unübertroffen cool! Was klingt besser: schwarze Magie – oder schwarze Magie... und rote? Auch heute begegne ich alle Jubeljahre mal einem kleinen Anfänger, und wo der fortgeschrittene Spieler fragen würde, welches Deck man spielt, hört man in so einem Fall fast garantiert: „Welche Farbe spielst du?“ (Oder auch: „Welche Farbe spielen Sie...?“ Ja, von solchen Anfängern ist hier die Rede.)


Immer noch sieht man in Foren Ergebnisse von jenem unglaublich populären Persönlichkeitstest „What Color Are You?“, der nun schon etliche Jahre alt sein dürfte, und nicht umsonst kann man im brandneuen Wizards-Community-Forum auf seiner Profilseite Farbpräferenzen angeben. Wizards haben bei den Unmengen an mehrfarbigen Karten der letzten Blöcke zwar einen beeindruckenden Ressourcenreichtum unter Beweis gestellt, wenn es darum ging, Antworten darauf zu finden, worin sich beispielsweise Blau und Grün oder Schwarz und Weiß philosophisch überlappen – aber Identifikation funktioniert in erster Linie über Ab- und Ausgrenzung! Weiß zum Beispiel definiert sich in einem ungleich höheren Maß über seine Unterschiede und seine Feindschaft zu Schwarz und Rot als über seine Gemeinsamkeiten und Allianzen mit Grün und Blau. Für mich waren die fünf Farben niemals mehr oder weniger verbündet, sondern immer mehr oder weniger verfeindet!

Und früher einmal, bei meinen ersten Kontakten mit der Turnierszene, war dieser Aspekt auch in den dortigen Decks allgegenwärtig: Ball Lightning und Fireblast; Dark Ritual, Hymn to Tourach und Lake of the Dead; Necropotence, Pox und Lurking Evil; Land Tax, Tithe und Crusade; High Tide und Counterspell; und so weiter... Rückblickend sind die allermeisten dieser Karten nicht gerade für ihr vorbildliches, gut durchdachtes Design in die Geschichte eingegangen (überwiegend im Gegenteil) und Grün war damals tatsächlich das fünfte Rad am Wagen, doch eins macht all diese Karten zu echten Gewinnern: Sie stecken ganz, ganz tief in ihrer jeweiligen Farbe. Wer lediglich ein bisschen rote Magie praktiziert, wird zum Beispiel niemals einen Kugelblitz beschwören, und nur ein tiefschwarzer Nekromant konnte die Macht der Necropotence für seine Zwecke einspannen. Das war cool!

Feedback mit Schleife

Ist euch schon mal aufgefallen, dass etwas als „Totschlagargument“ zu bezeichnen, oft selbst einem Totschlagargument gleichkommt? In der Diskussion um Wrath of God und seinen Zendikar-Ersatz wurde Wizards von der einen Seite nun wiederholt vorgeworfen, aufs schnöde Geld aus zu sein. Von der anderen Seite wurde der ersten Seite wiederum vorgeworfen, einen unsinnigen Vorwurf gemacht zu haben, da ein gewinnorientiertes Unternehmen ja selbstverständlich aufs Geld aus sei.

Beide Seiten sind blöd.

Wenn jemand ernsthaft Wizards' Berechtigung bzw. sogar Verpflichtung infrage stellt, Profit zu machen, dann ist er ein Idiot und eine Gefahr für den Fortbestand seines Hobbys. Trotzdem könnte er in der Frage, ob Day of Judgment eine gute Idee ist, durchaus Recht haben; aber unter dieser Voraussetzung lässt sich eben nicht diskutieren. Letztlich sägt derjenige bloß an dem Ast, auf dem seine Argumentation sitzt. Jegliche Kritik an Wizards muss unter der Annahme erfolgen, dass man Wizards einen Gefallen tut; dass man ihnen Feedback gibt, welches ihnen hilft, ihr Produkt zu verbessern. Und das klingt auch nur noch halb so anmaßend, sobald man sich zweierlei bewusst macht: einmal dass sie explizit um solches Feedback bitten, und zweitens dass Magic-Design überhaupt keinen anderen Qualitätsmaßstab als Kundenrezeption kennt! „I don't like it“ ist kein schlechtes Argument, sondern das einzig wahre.

Dabei muss man die eigentliche Aussage gar nicht verändern: So kann man zum Beispiel behaupten, dass Wizards kurzsichtig handeln; dass eine Karte wie Day of Judgment zu drucken, weniger den Verkauf von Zendikar ankurbelt, als dass es alteingesessene Kunden verprellt; dass sie auf diese Art langfristig und vielleicht bereits mittelfristig weniger umsetzen; und dass niedrigere Einstiegskosten fürs Standardformat allein über die Masse der Teilnehmer sehr wohl in ihrem ureigensten Interesse lägen. – Das wäre eine absolut legitime Kritik.

Und so etwas lässt sich nicht einfach mit einem Verweis aufs kapitalistische System beiseite wischen – was natürlich nicht verhindert, dass es wieder und wieder versucht wird. Selbstverständlich müssen Wizards Gewinn machen, aber machen sie dabei möglicherweise einen Fehler? Über das eine kann man nicht geteilter Meinung sein, über das andere doch. Wieso streiten also so viele Leute (auf beiden Seiten) über das Unstrittige, statt das Fragliche infrage zu stellen...?


Das wär's für heute. Wir sehen uns diesmal nicht nächsten Montag wieder (da bleibt die Küche kalt, zwecks Rückreise vom Grand Prix in Prag), dafür aber schon am Freitag dieser Woche. Dann gibt es nämlich eine exklusive (und spannende) Preview-Karte aus Zendikar!

Bis dahin tappt für euch weiter im Dunkeln...

TobiH
#493
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