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Hirnphysiologische Grundlagen des Magic-Spielens
von Gunnar Quass
06.05.2008

Vorwort – Die Menge hört noch zu
-Noob
Kurzform von englisch: Newbeginner; Der/Die Anfänger/-in

Dieses Wort, das heute bereits den Bekanntheitsgrad einfacher Worte wie „danke“ erreicht haben dürfte, fällt gerade im kompetitiven Bereich der offensichtlich globalisierten Web 2.0-nutzenden Magic-Spielerschaft immer häufiger.

Benutzt wird es hauptsächlich abwertend als Beleidigung oder im Zuge einer mehr oder weniger plötzlichen Frustrationsentladung eines Spielers. Auch in der Diskussion „Casual- vs. Tournament-Play“ findet es seine Verwendung, dann meist ebenfalls als Beleidigung, wobei einige Sachverständige im Moment versuchen, mit der Benutzung und Bedeutung dieses Wortes ein Wenig aufzuräumen.

Mich (besser: uns) interessiert heute in erster Linie der etymologische Teil des Wortes. Anders ausgedrückt: Dieser Artikel befasst sich mit dem wörtlichen Sinn des „Noob-Seins“ und was passiert, wenn „Noobs“ zu „Pros“ werden. Und ich rede hierbei nicht etwa von Spielergruppen, Decktypen, Regelkenntnissen oder Metagame-Einschätzungen. Ich habe mir zum Ziel gesetzt, der Community heute etwas beizubringen. Ich befasse mich mit…

…der Hirnphysiologie bei einem Magic-Spiel. (Tadaa!)

Viele von euch werden sich jetzt fragen, „Wie jetzt, Hirnphysiologie, was soll mir das denn bringen?“, und denken, „Das ist doch reine Zeitverschwendung.“

Und möglicherweise stimmt das sogar. Für alle, die in diesem Artikel etwas über das Spiel erfahren wollten: Das Weiterlesen dient nicht unbedingt diesem Zweck. Zumal ich mir nie anmaßen würde zu denken, ich wüsste besser über dieses Spiel Bescheid als das Gros der Community. Als angehender Student der Neuropsychologie (und bewaffnet mit Büchern von ganz tollen. Leuten.) hab ich trotzdem etwas beizutragen.

Wenn ihr etwas über das Spiel in Form von Karten, Strategien und Turnierberichten lesen wollt, verweise ich euch lieber an die Artikel von Pischner, TobiH und Co. Hier geht es um Biologie, Chemie und ein bisschen Psychologie,. Und vielleicht birgt die wissenschaftliche Sicht der Dinge ja Erkenntnisse, die euch tatsächlich etwas bringen.
Kausalkette Magic

Das wäre geklärt, nun zurück zum Noob. (Falls überhaupt noch jemand liest.)

Der Anfänger – auf welche Art und Weise denkt er? Wie spielt er Magic und was passiert dabei in seinem Kopf? Für sämtliche Beispiele ist es zunächst extrem wichtig, anzunehmen, der Anfänger kenne die Regeln des Spiels bis ins kleinste Detail. Wir (besser: ich) beziehen uns also auf jemanden, der anfängt, sich am aktiven Spielen zu versuchen – die Theorie hat er bereits vollends gemeistert.

Was passiert nun also, wenn wir unserem Anfänger ein Deck in die Hand und einen Gegner vor die Nase packen und sagen: „Spiel!“?

Nun, aller Wahrscheinlichkeit nach wird er den Würfelwurf starten, sein Deck mischen, sieben Karten ziehen und das Spiel beginnen. So weit, so gut. Nun ist Magic aber kein Spiel wie Roulette, wo eine willkürliche Entscheidung, gepaart mit dem restlichen Prozentsatz Glück, das Spiel bestimmt. Magic ist ein Spiel, das aus einer Aneinanderreihung von Entscheidungen besteht. (Die Deckwahl lasse ich hierbei außer Acht, die Ausführungen lassen sich aber auch so oder so ähnlich darauf beziehen.)

Entscheidungen also. Und diese wollen begründet werden. Wo es Entscheidungen gibt, da gibt es auch Möglichkeiten und diese muss man alle durchspielen, um die bestmögliche auszuwählen, eben sich zu entscheiden. Genauso wie wir es tun, wenn wir z..B. im Supermarkt einkaufen: Schmeckt mir diese Marmelade? Ja. Und diese? Auch. Welche ist billiger? Et cetera.
Warum Fehler nötig sind

In unserem Gehirn müssen für eine Entscheidung viele verschiedene Prozesse in Gang gesetzt werden. Zuallererst werden alle äußeren Gegebenheiten berechnet und geordnet: Der Anfänger sieht auf seiner Seite die beiden Forests und hat den Tarmogoyf und einige andere nicht spielbare Karten auf der Hand. Auf Seiten des Gegners befinden sich nur eine Insel und sieben Handkarten. Das Auge nimmt all dies wahr und sendet diese Informationen an das Zwischenhirn, den Thalamus. Dieser filtert die wichtigen Informationen (in diesem Fall die Boardsituation) und sendet sie, per elektrischem Impuls, weiter an das Großhirn. Hier werden sie mit den anderen relevanten Faktoren im Frontalcortex oder Stirnlappen „gesammelt“, um schließlich die bestmögliche Entscheidung zu treffen. Hierzu zählen zum Beispiel die Restriktionen der Möglichkeiten durch die Regeln.

Und spätestens jetzt zeigt sich der erste große Unterschied zwischen unserem Anfänger und dem Pro:

Beim Pro meldet sich jetzt der alarmierte Präfrontalcortex und teilt dem Frontalcortex mit, dass er aus Erfahrung wisse, wie ärgerlich eine Spell Snare auf der Hand des Gegners wäre und wie wahrscheinlich genau dieser Konter ist. Außerdem meldet er, dass wir es möglicherweise, sollte die Spell Snare sich zeigen, mit einer „Next Level Blue“-Art zu tun haben könnten. Gleichzeitig forstet er schon wie ein Orcish Librarian nach möglichen Spielmodi gegen dieses Deck und sucht nach Wegen, die Snare zu umspielen.

Der Anfänger hat spontan erst einmal keine Ahnung, was ihn beim Gegner erwarten könnte. Er verfügt nicht über die Gedächtniseinträge des Pros, weswegen der Präfrontalcortex in aller Ruhe seine Bild-Zeitung weiterliest.

Die Entscheidung wird also getroffen, der Goyf gespielt und direkt in die Spell Snare geworfen. Selbst wenn der Anfänger alle potenziellen blauen 1-Mana-Karten kennen würde (so wie die Regeln, wir erinnern uns), wäre die Wahrscheinlichkeit, dass sein Gegner ausgerechnet eine Spell Snare hätte, so verschwindend gering und die Beweislage viel zu unklar, als dass man den Goyf zurückhalten müsste.

Der Anfänger erlebt hier, genau wie der Pro einst, eine neue Situation. Und jetzt aktiviert sich ein anderes Gebiet in seinem Gehirn, das beim routinierten Spieler in etwa den gleichen Aufmerksamkeitsgrad aufweist wie derjenige RTL-Mitarbeiter, der bei „Wer wird Millionär“ dafür sorgen muss, dass es Konfetti regnet, sollte es tatsächlich mal jemand schaffen, die Millionenfrage zu beantworten.

Eine Struktur des subcortikalen („inneren“) Großhirns, das limbische System, oder genauer: Der Fornix im limbischen Assoziationscortex, tritt ihren/seinen Dienst als Erinnerungsspeicherer an und speichert diese Situation ab.

Natürlich wird der Anfänger deswegen nicht sofort reagieren wie der Pro und jede Spell Snare umspielen. Aber wenn er diese Situation noch mehrmals erlebt oder durchdenkt, verschiebt sie der Hippocampus, eine weitere subcortikale Instanz, in das Langzeitgedächtnis in der Großhirnrinde. Findet der Präfrontalcortex sich jetzt erneut in dieser Situation, reagiert er wie der des Pros; der Anfänger hat gelernt.
Was weitere Fehler überflüssig macht

Nun, der Anfänger hat gelernt, eine Spell Snare zu umspielen. Glückwunsch. Sein Gegner hat einen schlechten Draw, legt nichts und gibt ab. Der nächste Drop für unseren Anfänger wäre der Troll Asket. Die Spell Snare kennen wir. Da sie den Asketen nicht aufhalten kann, kann er ja gefahrlos gelegt werden.

Oder?

Im Gehirn des Pros schaltet sich wieder der Präfrontalcortex ein und warnt vor Force Spike. Das Muster kennen wir. Ob und was man sich hier überlegen kann, um mit einem MGA NLU auszustechen, überlasse ich den Extended-Spezialisten.

Unser Anfänger hingegen wird nach obigem Muster erneut in den Counter laufen, die Situation abspeichern und… – „Halt!“

Der pfiffige Leser wird sich denken, wer hier Halt schreit: Irgendwie kommt dem Fornix diese Situation doch bekannt vor. Na klar, mit Spell Snare ist es ja schon mal so gelaufen! Diese Information schickt er per Eilpost zum Präfrontalcortex, der sofort aufspringt und in der Großhirnrinde nach der vorhandenen Situation sucht.

„Beim letzten Mal habe ich auch die Karte gespielt, sie wurde gecountert und ich wurde gelackmeiert!“

Um dieser prekären Lage beim nächsten Mal zu entgehen, sucht das limbische System nun nach Möglichkeiten, Counter im Allgemeinen und Force Spike im speziellen zu umspielen.
Und nach einiger Berechnungszeit (bei einigen mehr, bei anderen weniger) kennt auch der Anfänger die einfachste Methode, den Dorn zu umspielen: Er behält einfach immer ein Mana offen.

Doch nicht nur das: Bei jeder Handlung bzw. jedem Spell, den ein Spieler plant, aktiviert sich automatisch ein kompliziertes Netzwerk zwischen der Großhirnrinde, der Amygdala im limbischen System und dem Kleinhirn. Diese unschlagbare Kombination des menschlichen Gehirns ist in der Lage, virtuell Handlungen auszuführen und deren Konsequenzen auszuloten.

Man könnte sagen, der Anfänger verspürt in Zukunft Angst vor einem Counter. Dieser Umstand macht die kleinen blauen Spontanzauber auch so unbeliebt: Spielt man gegen sie, erfordert das eine wesentlich höhere Rechenleistung im Gehirn. Und das wiederum ist anstrengend.

Diese Ausführung lässt sich auf jede Situation innerhalb eines Spiels übertragen. Sei es nun das Umspielen einer Karte, die effektivste Ausnutzung der Boardsituation oder das Disrupten einer anfangs vollkommen unverständlichen Combo.
Das Resümee – Magic kann man üben

Langer Rede kurzer Sinn: Je öfter und differenzierter ein Spieler spielt, das heißt je öfter ein Spieler in eine neue Situation kommt, desto besser wird er. Dies hat zweierlei Gründe:

1. Neue Handlungsmuster können entworfen und die entstandene Situation abgerufen und auf ähnliche Situationen übertragen werden.

2. Die Kommunikation zwischen Groß- und Kleinhirn verbessert sich erheblich durch das Lösen weitgehend unbekannter Probleme.

Das bedeutet im Umkehrschluss, dass auch das Lösen von Rätseln zu einer Verbesserung der Magic-Performance führen kann und ist wohl der Grund, aus dem so viele Mathematiker so begabte Magic-Spieler sind.

Zu guter Letzt noch einige Tipps zur Optimierung eures Spiels:

  • Spielt viel gegen viele und unbekannte Spieler und Decks – das übt.

  • Überlegt euch nach jedem Spiel Alternativen, wie das Spiel auch hätte laufen können.

  • Lasst euch nicht ablenken! Konzentration ist das A und O bei der intracerebralen Kommunikation.

  • Spielt, wenn möglich, nicht müde oder hungrig – darunter leidet die Rechenleistung eures Gehirns.

  • Übertreibt es nicht! Es gibt eine so genannte Lernkurve, welche auch zum Beispiel beim Testen wirksam ist. Ab einem bestimmten Punkt ist der Zenit erreicht – danach geht es bergab.

  • Habt Spaß! Bei allem Ehrgeiz bleibt Magic ein Spiel, das vor allem Spaß machen soll!

  • Ich hoffe, mein Artikel hat dem einen oder anderen eine andere Sichtweise eröffnet oder neue Erkenntnisse vermittelt.

    Falls nicht, war er vielleicht wenigstens unterhaltsam.

    Gunnar Quass




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