Sich mit dem neuen besten Deck zu befassen, kann so verkehrt nicht sein. Wohlan, es sei.
Eine wirklich geniale Idee
Normalerweise versuche ich, in meiner Kolumne nicht zu fluchen. Ich bemühe mich sogar, dass Andreas Pischner in seinen Artikeln nicht flucht. Manchmal klappt es einfach nicht...
Ihr wollt mich doch alle bloß verarschen.
Zwischen Pro Tour Austin und der Weltmeisterschaft stand für mich im letzten Jahr ein anderes wichtiges, hochdotiertes und vor allem prestigeträchtiges Turnier an: der Bundesliga-Team-Meisterschafts-Endrunden-Qualifier am 1. November in Dortmund. Für den würde ich extra mit meiner eisern durchgehaltenen Regel brechen, außerhalb von Prereleases kein Sealed Deck anzufassen. Außerdem, und darum geht es heute, würde ich Extended spielen und benötigte ein Deck.
Also ging ich her, betrachtete die Ergebnisse und Listen aus 'Tin und kam zu dem einigermaßen naheliegenden Schluss, dass es doch voll cool sein müsste, die beiden stärksten 2-Karten-Kombos des Formats zu kombinieren. Kombo-Kombo sozusagen. Die Rede ist selbstverständlich von
Dark Depths plus
Vampire Hexmage auf der einen Seite und
Thopter Foundry plus
Sword of the Meek auf der anderen.
Dass das umfangreiche Tutorium des einen ebenso gut für das andere funktioniert, sieht ja selbst ein Blinder mit Krückstock. Und dass man, wenn man schon dabei ist, gleich auch noch Platz für vier
Thirst for Knowledge schaffen sollte, kann man zehn Meilen gegen den Wind riechen. Ein wenig skeptisch war ich schon, weil trotz der totalen Offensichtlichkeit nirgendwo von diesem kinderleichten Umbau zu lesen war, aber für den Moment dachte ich noch, ich wäre hier auf eine
wirklich geniale Idee gestoßen.
Folglich besorgte ich mir ein Playset
Dark Depths für rund das Hundertfache dessen, wofür ich die Karte damals nach den ganzen
Coldsnap-Drafts verramscht hatte. Im Turnier besiegte ich dann einen D
redge-Spieler mit Mühe und Not und verlor ganz und gar mühelos gegen ein Zoo-Maindeck, das in weiser Voraussicht und Kenntnis der Austin-Resultate ein einzelnes
Ghost Quarter zum Suchen per
Knight of the Reliquary bereithielt, und gegen ein Zoo-Sideboard, das dem noch
Molten Rain hinzufügte. Je vier
Qasali Pridemage und
Path to Exile liefen beziehungsweise lungerten ebenfalls herum. Schön. Wenn es nicht einmal reichte, um Zoo zu besiegen, kann man das Deck natürlich vergessen, und das tat ich auch.
Nur ein Sprung nach links, drei Monate in die Zukunft, und siehe da: Am 31. Januar findet auf
Magic Online ein
Pro Tour Qualifier statt, bei dem am Ende auf Platz 26, 23, 21, 18, 16, 10, 7, 5, 4, 2
und 1 jeweils Decks landen, von denen keins einen Unterschied zu meiner Uralt-Liste von mehr als 14 Karten aufweist. Kommentatoren überall im Netz proklamieren das neue beste Deck, sind ganz aus dem Häuschen, überschlagen sich mit Lobeshymnen und
gratulieren „master deck designer“ Gerry Thompson zu seiner
wirklich genialen Idee...
Ich wiederhole: Ihr wollt mich doch alle bloß verarschen.
Mehr oder weniger genial
Ich brauche euch nicht zu sagen, dass das Deck unzweifelhaft gut ist, noch dazu in der heutigen Version bestimmt besser als in meiner alten. Und deshalb lasse ich es. Aber ich kann euch erzählen, warum es nicht ganz so gut ist, wie die allgemeine Aufregung vermuten lässt, und warum sich seine Resultate demnächst auch wieder relativieren werden.
Unabhängig von jeglicher Pappe und jedweden Pixeln wäre da zunächst einmal die menschliche Natur. Die begünstigt Überbewertung. Außerdem ermöglicht sie überhaupt erst Bewertung, was auf jeden Fall irgendwann Thema eines anderen Artikel sein wird. Nun lassen sich Turnierergebnisse aber kaum mit einem Hype wegerklären. Oder doch? Die fiese Antwort lautet: zum Teil. Wenn mehr Leute mit einem Deck antreten, landen zwangsläufig mehr Leute auf den oberen Plätzen. Auch die These, nach der die „Ansteckungsgefahr“ unter besseren Spielern niedriger liegt, möchte ich anzweifeln. Gerade die ambitionierteren wechseln durchaus des Öfteren ihre 75 Karten, versuchen auf der Metagame-Welle ganz oben mitzuschwimmen und richten sich nach der neuesten Mode. In diesem Frühjahr trägt man also wieder Schwarz-Blau.
Mehr oder weniger als die Summe seiner Teile
Weiterhin konnte ich feststellen, dass zwei unabhängige Kombos zu haben, eben doch nur begrenzt Synergieeffekte schafft. Vor allem in den kürzeren Matchups ist man meist gezwungen, auf eine der beiden zu setzen, sodass plötzlich ein relevanter Prozentsatz des Decks aus passiv-toten bis aktiv-störenden Karten besteht. Hinzu kommen solch allesentscheidende Fragen wie: Turn 1
Thoughtseize, nehme ich jetzt
Qasali Pridemage oder
Path to Exile?
Dann bezieht das Deck einen wesentlichen Teil seiner Stärke aus der Durchschlagskraft von
Dark Depths/
Vampire Hexmage. Dass sich jenes Deck, welches ausschließlich darauf abzielte, seit einiger Zeit auf Tauchstation befindet, kommt nicht von ungefähr. Turn 1
Thoughtseize, Turn 3 Angriff für 20, ja, das ist gut. Damit das aber funktioniert, muss man im ersten Zug ein legendäres Land legen und im zweiten Zug ein anderes, das im Übrigen ohne das erste kein Mana produziert. Vier
Chrome Mox und bis zu 25 Länder erschienen mir am Wochenende der Pro Tour Austin noch verdammt viel zu sein, sind jedoch bitter nötig. Dass durchschnittlich drei weitere Länder lediglich getappt aufs Spielfeld gelangen, ist ebenso wenig dazu geeignet, diese Schwäche auszubügeln, wie der Umstand, dass man zwingend drei Mana benötigt, falls man nicht eine seiner beiden Kombinationen auf der Starthand vorfindet; oder falls der Gegner selber mal
Thoughtseize hat; oder falls er irgendwie überhaupt irgendetwas macht.
/
Zusammengefasst: Zweimal vier legendäre Länder, dreimal Tapland und vier Länder, deren Manaproduktion Glückssache ist. Dazu Ansprüche, die von
bis
reichen, und das auch nur, wenn man nicht einplant, jemals zwei Sprüche im selben Zug zu wirken. Ach ja, und schnell soll das Ganze ebenfalls gehen und am besten nicht sofort gegen
Blood Moon einschieben. Wovon träumt man denn bitte nachts, wenn schon tagsüber solche Pläne geschmiedet werden? Herrje, dieses Deck ist in der Lage, bereits an einem einzelnen
Urborg, Tomb of Yawgmoth einzugehen, wenn der Gegner dieses Split-second-
Wasteland im falschen Moment zückt. Mehr noch, es ist das einzige Deck, mit dem es passieren kann, dass im dritten Zug keine drei Mana zur Verfügung stehen, obwohl man
fünf Länder gezogen hat! Screw und Flood geben sich die Klinke in die Hand und manchmal sind sogar beide gleichzeitig zu Besuch. Und das Einzige, was es zusammenhält, ist
Dark Confidant, an dessen einem Pünktchen Widerstandskraft oft Sieg oder Niederlage hängen.
Nun gut, jetzt wissen wir, dass sich die
Dark Depths-Kombo immer mal wieder selbst besiegt. So what?
So what?! What ist, dass das Deck entweder etwas reißt oder aber seinen zweiten Teil gleich mit in den Abgrund reißt. Ein echter Reißer! Denn die Thopter-Kombo will die drei Mana noch weitaus dringender sehen, da sie mehr auf das Tutorium angewiesen ist. Die beiden Kombos sind nämlich keineswegs gleichberechtigt enthalten; können sie auch gar nicht.
Dark Depths/
Vampire Hexmage lebt nicht zuletzt von seiner potenziellen Geschwindigkeit und nimmt entsprechend den Löwenanteil der Slots in Anspruch, während
Thopter Foundry/
Sword of the Meek als Plan B den Backup-Sidekick auf der zweiten Geige spielt.
Und das erzeugt bisweilen ohnehin und wieder Missklänge. Weder Schwert noch Schmiede kann man in
Chrome Mox einprägen, obwohl gerade Letzteres so ungemein praktisch wäre. In einem Deck, welches bereits ohne diese Artefakte um die 28 imprintunfähige Karten enthält, machen fünf weitere einen beachtlichen Unterschied. Auf Moxe verzichten kann man indes nicht. Uns bleibt immer noch Paris, aber ein Kombodeck weiß seine Mulligans durchaus geschickter einzusetzen als für eine nurmehr leidlich spielbare Starthand. Und zu guter Letzt gibt man einfach kein besonders gutes Thopter-Kombodeck ab. Die konsequenteren Vertreter dieser Gattung legen sämtliches Land aus, was sie haben, und
feuern dann Thopter aus allen Rohren. Wenn man dasselbe mit
Dark Depths probiert, hat man hinterher bloß weniger Mana als vorher.
Ein Meter Game
Feen haben einen schier unendlichen Vorrat an Möglichkeiten, nicht gegen die
Dark Depths/
Vampire Hexmage-Kombo zu verlieren. Das gipfelt in
Sower of Temptation,
Threads of Disloyalty,
Cryptic Command und anderem Bounce, beginnt aber bereits mit einer schlichten
Bitterblossom und vielen, vielen Chumpblockern. Während die Feen sich darum kümmern, vervollständigt man im Idealfall die
Thopter Foundry/
Sword of the Meek-Kombo, und die ist mit drei
Tolaria West und
Academy Ruins dann auch wirklich gut. Der Spagat zwischen beidem kann den Feen zum Verhängnis werden, aber letztlich sind die kleinen Biester meist zu offensiv. Sie stehen ja nicht untätig herum und schauen mal, wie lange sie gegen
Academy Ruins ancountern können. Schließlich wäre da noch das Problem, dass drei bis vier Thopter pro Runde sie keineswegs aufhalten,
Umezawa's Jitte sei Dank.
Andere Thopter-Decks wiederum haben nicht das Handicap, das
Dark Depths darstellt. Lucky Wins hin oder her, unter den Spielsteinen zählt nicht Größe, sondern Menge. Wo die UW-Versionen weitere Komboteile sowie
Spell Snare und
Mana Leak haben, um sowohl sich als auch ihre Kombo zu schützen, hat man selbst eine mehrheitlich irrelevante Zweitkombo. Zugegeben,
Path to Exile haben sie auch, aber das macht es irgendwie gar nicht besser. Nach dem Boarden entbrennt ein Kampf um Sideboard-Karten, allen voran
Extirpate, und wenn das resolvet, erhält Marit Lage doch noch ihren großen Auftritt. Andererseits ist es möglich,
Extirpate zu umspielen oder per
Chalice of the Void abzustellen. Ein neuer Trend für Thopter-Kombo geht sogar dahin, selbst dreifarbig oder Schwarz statt Weiß zu spielen, um Zugriff auf eigenen Discard zu haben. Im Zweifelsfall könnte man allen Ernstes
Pull from Eternity verwenden. Das Matchup nach dem Boarden ist hochgradig
messy, das Matchup davor tendenziell unvorteilhaft.
Zumindest nach den letzten Offline-Ergebnissen hierzulande waren das die beiden Decks to beat und ich sehe nicht, dass man die hiermit überbeatet. Meiner Meinung nach ist der momentane Erfolg außerdem nicht einmal so sehr auf die Synergie der beiden Kombos zurückzuführen, sondern darauf, dass die Menschheit vorübergehend vergessen hatte, dass
Dark Depths/
Vampire Hexmage existiert und eine ernstzunehmende Gefahr ist. Und natürlich darauf, dass in einem kombogeprägten Umfeld fünf und mehr Discard-Effekte so stark sind. Wenn sich Ersteres wieder gibt, wenn wieder vermehrt
Blood Moon und
Ghost Quarter auftauchen, wird uns Letzteres trotzdem weiter beschäftigen, voraussichtlich in einer reinen Thopter-Variante.
Das wär dann alles. Wir sehen uns nächste Woche auf ebendiesem Sendeplatz. Mit echter Grabbeltischware.
P.S.
Noch einmal zur Sicherheit: Ich habe nie behauptet, dass das Deck schlecht ist! Wie lächerlich wäre denn auch das? Es hat vor einer guten Woche bei einem einigermaßen bedeutenden internationalen Event
ein Drittel der Top 32 belegt sowie beinah
die Hälfte der Top 16 und
fünf von acht Plätzen in den Playoffs. Mehr muss man über seine Stärken nun wirklich nicht wissen. Über die Schwächen steht allerdings oben so einiges.
Für alle, die sich bis jetzt gedulden konnten, habe ich ein kleines Extra vorbereitet: die ultimative Durchschnittsliste. Durchschnitt bedeutet, dass alle Kartenanzahlen aus den elf Maindecks der Top 32
dieses PTQs aufsummiert und durch elf geteilt wurden. Ultimativ bedeutet in diesem Fall, dass jedes Deck mit einem zusätzlichen Faktor entsprechend seiner Match-Win-Percentage in die Addition eingegangen ist. Und Median bedeutet— na Gott sei Dank brauchen wir den heute nicht.
| | | | 1,00 Academy Ruins
4,00 Dark Depths
2,18 Island
4,00 River of Tears
4,00 Sunken Ruins
1,84 Swamp
2,90 Tolaria West
0,09 Underground River
4,00 Urborg, Tomb of Yawgmoth
0,09 Watery Grave
4,00 Dark Confidant
4,00 Vampire Hexmage
2,82 Beseech the Queen
3,79 Chrome Mox
0,18 Doom Blade
1,14 Duress
0,48 Echoing Truth
1,00 Engineered Explosives
0,53 Extirpate
0,35 Into the Roil
4,00 Muddle the Mixture
0,62 Repeal
0,65 Slaughter Pact
1,82 Sword of the Meek
3,79 Thirst for Knowledge
2,71 Thopter Foundry
4,00 Thoughtseize
| —Diese und weitere Karten gibt's bei:
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