Letzte Woche ging es unter anderem um die sagenhaften Traumpreise, die manche Mythic Rares dieser Tage erzielen. Kurios daran ist, dass sie alles in allem längst nicht so selten sind, wie man meinen sollte, wenn man lediglich aufs Preisschild schielte. Zur
Gedächtnisauffrischung: Heutige Mythic Rares sind ein klein wenig (ca. 9
%) seltener als normale Rares zu Zeiten von
Odyssey oder
Onslaught.
Warum sie trotzdem so wahnwitzig viel teurer sind, dazu gibt es einige Theorien. Im Forum wollte eine Mehrheit zum Beispiel dringend unter Beweis stellen, dass VWL keine echte Wissenschaft ist. Andere wiederum führten an, dass
Odyssey mit
Shadowmage Infiltrator und
Call of the Herd ja gleich doppelt so viele Moneyrares enthalten hätte wie
Rise of the Eldrazi mit seinem
Gideon Jura und
Vengevine. Per E-Mail wurde ich außerdem darauf aufmerksam gemacht, dass der Geldwertverlust von damals bis heute durchaus relevant ist und den Preisanstieg leider auch nicht erklärt. Der merkwürdigste Mexican Standoff aller Zeiten also, bei dem jeder mit seinem anklagenden Zeigefinger in eine andere Himmelsrichtung zeigt, und sobald die Himmelsrichtungen ausgehen, sich ratlos am Hintern kratzt?
Jein. Ich glaube weiterhin, dass es weniger an den Mythic Rares im Allgemeinen, sondern an bestimmten Mythic Rares im Speziellen liegt. Denn die sind zum Teil einfach idiotisch overpowert. Ein Puzzleteil fehlt hier allerdings noch, und das wurde tatsächlich im Forum beigesteuert. Overpowerte Turnierkarten gab es früher bereits genauso und vermutlich sogar in weit höherem Maße. Aber wenn die brokenste Rare in einem Set
Memory Jar,
Yawgmoth's Bargain oder
Rishadan Port heißt, dann werden absolute Spitzenpreise eben doch nicht erreicht. Das sind alles viel zu „abstrakte“ Karten, viel zu verkopft, nicht handfest genug und nicht
Casual.
Heutzutage haben wir dagegen komische 5/5-Engel und flavortechnisch aufgeladene Planeswalker. Dass
Vengevine denen weiterhin hinterherhinkt, obwohl es kaum weniger stark ist, mag man bestimmt als „bezeichnend“ bezeichnen. Dass es sich bei allen um Permanents handelt, ist in jedem
Fall bemerkenswert. Als
Magic noch auf dem Stack entschieden wurde, haben sich die Interessen von Turnier- und Küchentischspielern ergänzt. Mittlerweile überlappen sie sich.
Hurra! Die
Spaltung der
Magic-Community ist endlich überwunden.
Was? Nein. Natürlich ist man immer noch genauso gespalten wie eh und je, nach Formaten, nach Turnier- und Funspiel, uneins darüber, was denn eigentlich Spaß macht oder wie viele Mitspieler eine Partie haben sollte. Einzig am Einzelkartenmarkt, da trifft und da einigt man sich.
Auf immer höhere Preise.
Zu meiner Kindergartenzeit habe ich einmal ein Brettspiel entworfen. Das war in jeglicher Hinsicht ziemlich blöd, aber in einer ganz besonders. Und zwar mussten dabei verschiedene Spielfiguren verschiedene Strecken zurücklegen. (Felder, Würfelwurf, das Übliche...) Die Spielfiguren waren unterschiedlich und die coolste davon, also die, die ich mir insgeheim schon als meine ausgesucht hatte, die musste selbstverständlich den längsten Weg zurücklegen. Mehr ist schließlich besser.
Ihr könnt euch ungefähr die Enttäuschung vom kleinen Henke vorstellen, als ihm auffiel, dass mehr nicht zwangsläufig besser, sondern manchmal auch schlechter ist. Wie dumm ich mir vorgekommen bin...! Immerhin: Als ich Jahre später mit
Magic angefangen habe, ließ mich
Scaled Wurm eher kalt. Nein,
meine erste Lieblingskarte hieß
Dark Ritual. Klingt logisch, oder?
Vor zwei Jahren hat Mark Rosewater
erklärt, warum
Magic eine vierte Seltenheitsstufe benötigt. Wenn man es auf die Quintessenz herunterbricht, ist der Grund schlicht der, dass mehr eben
doch immer besser ist! Klingt unlogisch?
Hier muss man sich vor Augen halten, dass die Zielgruppe grundsätzlich Kindergartenkinder sind, weil es davon nun mal so viele gibt. Bleibt mir weg mit der kopfstehenden Alterspyramide! Alter hat damit überhaupt nichts zu tun, ob jemand ein Kindergartenkind ist. Wer sich darüber freut, dass es 50-Euro-Karten gibt, ist ein Kindergartenkind. Und da braucht sich auch niemand groß angegriffen fühlen. Oder überlegen fühlen. Schließlich sind wir alle Kindergartenkinder. Spätestens in dem Moment, wenn wir einen Booster aufreißen und darin
Jace, the Mind Sculptor vorfinden.
Es bietet sich an, einmal ein Rechenexempel zu statuieren: Ein UG-Madness-Deck kostete früher in etwa so viel wie ein einzelner
Jace in der Gegenwart; legt man noch einen
Gideon Jura obendrauf, landet man schon bei
Psychatog oder
Arcbound Ravager – jeweils den kompletten Decks, versteht sich.
Zwischen
Odyssey und
Mirrodin erlebten
Magic-Turniere ihre Blütezeit. Jetzt nicht Grand Prix oder so. Nein, kleine Wald- und Wiesen-Events wie zum Beispiel das Dezemberturnier 2003 in Dülmen. 156 Teilnehmer hatte das! Regionals 2004 in Dortmund. 232 Spieler! Aber damals gab es die wahren bösen Karten und die Leute haben alle nur mitgespielt, wie wir heute wissen, weil es ihnen so wenig Spaß gemacht hat. Wirklich tragisch, ja ja.
Entsetzt war ich, als Mark Rosewater einen
gesamten Artikel dem Umstand widmete, dass
Odyssey so furchtbar unbeliebt gewesen sei. Eine Erklärung dafür lieferte er gleich mit:
Odyssey zwang Spieler zu Aufmerksamkeit und Nachdenken. Das ist selbstverständlich unpopulär und muss unbedingt vermieden werden. Außerdem konnte man sich seine Siege noch nicht kaufen. Klar, dass das so nichts werden konnte. Man muss ein Produkt natürlich schlechter machen, damit es sich besser verkauft.
Klingt unlogisch...?
Keine Sorge.
Magic stirbt nicht.
Magic boomt. Vielleicht sollte einem genau
das zur Abwechslung einmal Sorge bereiten. Ein befreundeter Ladenbesitzer (nein, nicht Jens) erzählt mir hin und wieder was von dem Nachwuchs in seinem Shop: jüngere Spieler, viele herübergewechselt von Yugioh. Die haben mit Mythic Rares offensichtlich überhaupt kein Problem.
„Geld schießt Tore“, sagte er da neulich. „Dass das so ist, das wissen sie, das haben sie in allen Bereichen immer und überall so mitbekommen und das erwarten sie auch.“ Zu behaupten, dass sie es
akzeptiert hätten oder gar
wollen, wäre zu viel gesagt. Oder, viel zu wenig. Sie kennen es einfach gar nicht anders. Ebenso gut könnte man von ihnen verlangen, die Fortbewegung auf zwei Beinen infrage zu stellen.
„Aber
Magic ist doch Denksport“, jammerte ich, flehentlich. „Es geht doch darum, Dinge kritisch zu sehen, um Reflexion, um eigenständiges Denken. Das sind doch Fähigkeiten, die
Magic einem sowohl abverlangt als auch beibringt.“
„Für Turnierspieler mag das stimmen“, antwortete er. „Aber nicht für das Gros der Spieler. Neue Wizards-Policy scheint zu sein, jedem das zu geben, was er will...“
„...und nicht das, was gut für ihn wäre“, setzte ich fort. „Ja, ich weiß. Trotzdem, das ergibt sich doch automatisch. Selbst der allercasualigste Kacknoob – Pardon – macht sich doch früher oder später Gedanken. Über gute und schlechte Spielzüge. Oder darüber, wie er sein Deck verbessern könnte.“
„Oh ja. Wie
das aussieht, kann ich dir sagen“, meinte er resigniert und grinste, hauptsächlich mit den Sorgenfalten auf seiner Stirn. „Die kommen nach vorne und schauen abwechselnd in die Einzelkartenordner und in ihr Portmonee!“
Ernsthaft? Sagenhaft!
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