Community Bluffen 1: Verschleiern von Thoralf Severin
09.04.2013
Pro Touren sind immer ein guter Anfang für einen Artikel. Ganz alte Pro Touren umso besser. Ich führe euch in eine Welt weit vor unserer Zeit. So weit, dass es noch Damage auf dem Stack gibt. Wir schreiben das Jahr 2005, Pro Tour Los Angeles.
Die Grinsekatze (von langweiligen Menschen auch einfach nur Psychatog genannt) hat die Magic-Welt im Sturm genommen, und wenn es viele Grinsekatzen gibt, dann müssen die sich eben auch mal gegenseitig belächeln. Im Halbfinale der Pro Tour treffen sich Antoine Ruel und Kenji Tsumura im Psychatog-Mirror und das ist eins der witzigsten Mirrormatches überhaupt (natürlich knapp geschlagen von Legacy-TPS mit Silence und Orim's Chant – Betroffene wissen, was ich meine – aber mit dieser Geschichte belustige ich euch ein anderes Mal), denn im Grunde passiert eine Million Züge lang nichts und dann gibt es große Neutralisierungskriege um einzelne Karten.
Antoines Deck glänzt hier im Mirror durch wesentlich mehr Kartenzieher und Counterspells, hat dafür aber weniger Removal. In der folgenden Situation spielt Antoine einen Duress. Logischerweise wird der von Kenji mit Mana Leak beantwortet und jetzt kommt der spannende Teil. Anstatt den Duress mit seinem Force Spike durchzubringen, entscheidet sich Antoine, den Duress auszugeben, um in nächsten Zug einen Psychatog countern zu können.
Anderes Jahr, anderes Event, anderer Europäer. Für alle Freunde des modernen Magic diesmal ein aktuelleres Beispiel: Tom Martell kontrolliert einen enttappten Beguiler of Wills mit Hexproof und zwei weitere getappte Kreaturen. Das Einzige, was zwischem ihm und dem Sieg steht, ist ein einsamer, aber stattlich ausgerüsteter Fiend Hunter mit Demonmail Hauberk unter der Kontrolle von Samuele Estratti.
Das Problem für Estratti ist, das der Hunter allein Martell in diesem Zug nicht umtreten wird und er somit keine Kreaturen mehr spielen kann. Ebenjener Fiend Hunter greift also noch mal an und erlebt, ohne Priorität abzugeben, einen Moment of Heroism. Das würde Martell auf eins bringen. Dann sieht es so aus, also ob Estratti noch einen Spruch spielen will, um dann spontan verwirrt zu bemerken, dass der Beguiler of Wills ja noch blocken kann. Und da Italiener wirklich sehr gut darin sind, spontan verwirrt zu sein, blockt Martell und verliert damit seinen Beguiler of Wills und dadurch in der Folge auch das Spiel und das Match.
Erinnert ihr euch noch an meinen ersten Artikel? Das war so eine kleine Zusammenfassung über Informationen. Alles etwas wüst und oberflächlich, aber jetzt wird es Zeit, in einige der Punkte näher hineinzuschauen. Das ist der Teil, bei dem große Momente geboren werden können. Das ist der Teil, bei dem ganze verlorene Spiele doch noch erobert werden können. Gut, meistens ist nicht mehr drin als ein paar Extraschadenspunkte, aber man nimmt, was man bekommt. Alles ist erlaubt: Es geht ums Bluffen.
Generell kann man das Bluffen in zwei Teile zerlegen:
1.
Eine Karte auf der Hand so zu verschleiern, dass der Gegner nicht damit rechnet, oder
2.
eine Karte zu anzutäuschen, die nicht auf der Hand ist.
Im ersten Beispiel hat Antoine seinen Force Spike verschleiert, um damit den Psychatog countern zu können. Im zweiten Fall hat Estratti einen Combattrick angetäuscht, der Martell hätte töten können.
In diesem Artikel geht es nur um den ersten Teil, der zweite folgt dann in zwei Wochen. So denn, auf geht's.
Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu bauen
Jeder Bluff ist eine Abwägung zwischen Risiko und Gewinn. Niemand würde versuchen, einen unwichtigen Schadenspunkt mehr zu machen, wenn es wahrscheinlich ist, dass er dabei zwei Handkarten verliert. Das Ziel beim Verschleiern einer Karte ist es, die Karte ihr gesamtes Potenzial entfalten zu lassen und sie zu einem vorher geplanten Punkt anzubringen, in dem sie einen maximalen Effekt hat. Dummerweise spielen wir kein Solitär mit uns allein, sondern Magic und das meistens mit einem Gegner. Aber wie überzeugt man einen Gegner davon, dass man eine Karte nicht auf der Hand hat?
Dieser Fall taucht deutlich seltener auf als der Fall, dass man dem Gegner eine andere Karte vorgaukeln will. Es ist schwieriger (und meistens unnötig bis schlecht), eine Karte bewusst nicht zu spielen oder nicht offenzuhalten, da die Möglichkeit, dass sie einen wichtigen Einfluss auf das Spiel nimmt, meistens schon genug ist. Es ist schwierig, eine gute Gelegenheit dafür zu finden, aber wenn dieser Gedankengang Routine wird, dann kann ein Spieler aus einigen Karten ein bisschen mehr herausholen. Außerdem schärft der Denkprozess auch den Sinn für die Planung eines Spiels. Es ist schwer, einen Gegner in eine bestimme Karte hineinlaufen zu lassen, wenn er diese Karte erwarten könnte. Deswegen gilt es, einen Gegner nicht an diese Karte denken zu lassen, oder ihn dazu zu bringen, dass er sie für unwahrscheinlich hält.
1. Gegner einschätzen
Die wichtigste Frage ist: Ist euer Gegner überhaupt mental an diesem Spiel beteiligt? Es bringt nichts, wenn ihr jemandem mit Parkettboden einen Teppichklopfer andrehen wollt. Kennt ihr den Spieler? Wisst ihr, dass er gut ist? Spielt er aktiv um Karten herum? Kennt er das Format und damit die relevanten Sprüche? All das kann ich euch nicht beantworten, da seid ihr auf euch allein gestellt. Glücklicherweise ist das im realen Leben recht einfach. Meistens kennt man die Personen, mit denen gespielt wird, und ab einem Level von PTQ und höher sollte man pauschal davon ausgehen (oder erkennt schnell den Fall, wenn das nicht so ist). Aber selbst wenn es ein guter Spieler ist, denkt er gerade an diese Karte und würde er um sie herumspielen? Ætherize ist eine gefüchtete Karte und das Bluffen von Ætherize ist tatsächlich einen Gedanken wert. Tower Defense dagegen wird von den Leuten weniger erwartet und in meiner Erfahrung hat diese Karte schon einigen Schaden angerichtet, weil die Gegner immer an andere Karten wie Simic Charm oder Burst of Strength dachten.
Beispiel: Ihr habt Wing Shards auf der Hand und der Gegner ein paar Kreaturen. Jetzt greift er mit zwei seiner Läufer an, aber es wurde noch kein Spruch gespielt. Lohnt es sich, die Shards zu spielen? Die Frage hängt direkt von vielen anderen Fragen ab. Werde ich in meinem nächsten Zug die drei Mana brauchen? Rechnet mein Gegner mit dieser Karte oder würde er vorher einen Spruch wirken? Kann ich es mir leisten, diesen Schaden noch einmal komplett zu nehmen?
2. Kosten vs. Nutzen
In dem Fall, dass man eine Karte verschleiern will, muss man immer erst mal einen Kostenvoranschlag machen. Einen Gegner bewusst von einer Karte abzubringen, kostet meistens irgendwas, denn der Gegner muss einen Grund dafür haben, diese Karte auszuschließen. Im besten Falle könnt ihr auf Sprüche so geschickt reagieren, dass euer Gegner daraus eine Schlussfolgerunge zieht.
Beispiel: Ihr habt ein Essence Scatter und könnt das spielen. Da hier nur Kreaturen betroffen sind, interessieren euch andere Sprüche vorerst nicht. Wenn ihr also einen schnellen Blick habt, dann könnt ihr einen Spruch sofort bestätigen, mit der Intention, dass euer Gegner denkt, dass ihr generell keinen Gegenzauber auf der Hand habt.
Wie im ersten Artikel schon erwähnt können Entscheidungspunkte auch einfach verlagert werden, sodass der Gegner einen falschen Eindruck bekommt.
Beispiel: Ihr spielt UR und habt Removal auf der Hand. Anstatt die gegnerische Kreatur sofort resolven zu lassen und dann an dem eigentlichen Punkt (wahrscheinlich End of Turn) zu überlegen, ob sie sterben soll oder nicht, könnt ihr mit dem Spruch auf dem Stapel schon überlegen und damit eurem Gegner einen möglichen Gegenzauber suggerieren. Wichtig dabei ist, dass durch eine Überlegung am Ende des Zuges Removal viel offensichtlicher wird.
Meistens könnt ihr einfach Mana anders tappen und euch damit die Möglichkeit nehmen, euren Spruch genau jetzt zu spielen. Dabei solltet ihr natürlich abschätzen, ob das nicht fatale Folgen haben könnte. Stellt sicher, dass ihr ab und zu für euren Gegner das Mana bewusst tappt (indem ihr das Mana tappt, den Spruch fast spielt und dann nochmals umtappt), sodass er ein leichtfertiges, falsches Tappen ausschließen kann.
Und dann gibt es Situationen, in denen ihr auf Kosten von (meistens wenigen) Lebenspunkten oder Handkarten eine Karte vorbereitet. Es gibt praktisch unendlich viele Beispiele und jede Karte ist dabei nahezu einzigartig. Zuerst sollte immer darüber nachgedacht werden, ob es überhaupt sinnvoll ist, wichtige Ressourcen (wie viele Lebenspunkte oder Karten) für diesen Bluff aufzugeben. Ein Großteil von Karten und Situationen fällt dabei heraus, denn es geht meistens nur um einen kleinen Vorteil, den man einfach mitnimmt. Trotzdem gibt es einige wenige Standardsituationen, in denen es immer einen Gedanken wert ist.
Beispiel: Ich liebe Zorneffekte im Limited in jeder Art und Weise. Selbst im schnellsten Aggrohaufen würde ich immer einen Wrath of God spielen, weil sich mit dieser Karte spielerisch immer etwas machen lässt. Wenn man damit auf der Hand startet, dann lässt sie sich zu einem sehr hohen Prozentsatz gut anbringen. Meistens ignoriere ich die Karte zunächst und versuche, eine Racesituation aufzubauen. Natürlich muss für Verstärkung nach dem Zorn gesorgt sein, aber ich scheue mich auch nicht, Removal vor dem Zorn zu spielen. Nichts ist schlimmer für diese Karten, als ein Gegner, der es sich leisten kann, da herum zu spielen, denn erst dann werden sie mäßig bis schlecht. Ich denke, dass Spieler generell einfach zu gierig mit diesen Karten sind.
Beispiel: Ætherize. Ich weiß, dass viele Leute von dieser Karte nicht überzeugt sind. Ich weiß auch, dass ich sie wohl viel mehr mag, als sie es verdient. Man muss sich schon ein wenig Mühe machen, dass diese Karte einen großen Effekt hat. Ich sehe viele Leute damit blind angreifen und dann wundern sie sich, dass der Gegner sie erwartet. Sicherlich kann man den Gegner nicht immer hinters Licht führen, aber man kann sich zumindest etwas anstrengen. Ætherize sollte nie ohne einen Blocker gespielt werden, gern auch mehrere. Der Gegner muss das Gefühl bekommen, dass ihr euch wehrt, dass ihr Angst vor seinem Angriff habt. Habt ihr einen Effekt wie Simic Guildmage oder Simic Fluxmage – umso besser. Zeigt eurem Gegner, dass ihr nicht aufgebt. Und wenn ihr Ætherize gut angebracht habt, dann wandert es ins Sideboard … jedes … Mal. Denn dann wird die Karte schlecht (wenn der Gegner darum herumspielt, wenn ich sie wirklich auf der Hand liegt) und dann ist sie auch nicht mehr mein Problem. Wahrscheinlich bekommt man in späteren Spielen so ein paar Schadenspunkte weniger, weil der Gegner diese Karte gesehen hat – gratis. Allein dafür kann es sich lohnen. Ich denke, der Punkt ist klar – ich könnte einen ganzen Artikel über diese Karte schreiben.
3. Vorausplanen
Wie gesagt steht und fällt euer Bluff mit der Glaubwürdigkeit eurer Geschichte. Wenn Antoine im ersten Zug sein Watery Grave ungetappt ins Spiel gebracht hätte, dann hätte Kenji wohl zweimal überlegt, ob er im dritten Zug seinen Psychatog spielt. Und hätte Antoine etwas mehr Zeit an seinem Duress verbracht, dann wäre das bestimmt auffällig geworden.
Die Frage ist, was kann diese Karte optimalerweise erreichen? Ist sie jetzt gut genug oder will ich mehr aus dieser Karten herausholen – und wenn ja, wie müsste eine solche Situation aussehen? Wird diese Situation wahrscheinlich eintreten und was kostet es mich, bis dahin zu kommen? Was kann bis dahin passieren? Ist es wahrscheinlich, dass der Gegner eine Karte (wie Duress oder Gegenzauber) spielt, um den Plan fehlschlagen zu lassen, sodass es sich nicht lohnt, dafür Ressourcen zu verschwenden? Je größer der Effekt, je mehr Gedanken lohnt es sich zu machen
4. Balancing
Egal, wie ihr spielt, es gibt immer Karten, die ihr damit repräsentiert. Manchmal ist es auch genug, euren Gegner davon zu überzeugen, dass ihr eine andere Karte auf der Hand habt. Es macht meistens wenig Sinn um zwei Karten gleichzeitig herumzuspielen, da es zu viele Kombinationen gibt. Euer Gegner wird, wenn ihr Burst of Strength projiziert habt, nicht um Burst of Strength und Tower Defense herumspielen. Erinnert euch, wie das aktuelle Spiel verlaufen ist. Gibt es einen Spruch, der aus eurer Sicht auf eurer Hand sein könnte? Im optimalen Fall macht dieser Spruch etwas, was dem tatsächlichen Spruch auf der Hand entgegekommt, weil er anders zu umspielen ist. Da Burst of Strength nur einer Kreatur einen Bonus gibt, könnte euer Gegner einfach mit viele Kreaturen angreifen, weil dann immer noch mehrere Kreaturen bei uns sterben. Dann wäre Tower Defense optimal.
Als kleines Sahnehäubchen kann man noch ein bisschen mit dem Gegner spielen. Gute Spieler merken sich, wenn sie von jemanden ausgeblufft wurden. In diesem Fall ist das sehr praktisch, denn in zukünftigen Begegnungen werden sie viel mehr Gedanken an andere Karten verschwenden, weil sie gesehen haben, dass ihr dazu in der Lage seid. Das kann später hier und da mal ein paar Lebenspunkte einbringen.
Zusammenfassung
Lasst euch dieses Thema nicht zu Kopf steigen. Es ist sehr schwer, aus Bluffs einen signifikanten Nutzen zu ziehen. Im Zweifel lasst es lieber sein und macht den richtigen statt den riskanten Zug. Aber achtet auf die Momente, in denen ihr euch wünscht, dass euer Gegner nicht um eine bestimmte Karte herumspielen soll! Im Grunde immer dann, wenn ihr euch fragt:
Will ich diese Karte jetzt schon spielen?
Wird diese Karte schlechter, wenn mein Gegner damit rechnet?
Wird es einen Punkt später geben, wenn mein Gegner damit immer noch nicht oder nicht mehr rechnet?
Lohnt es sich, mit diesem Spruch zu warten, oder richtet er gerade schon genug Schaden an?
Probiert ein bisschen herum in kleinen Drafts, im Highlander, einfach überall, um ein bisschen Erfahrung zu sammeln. Bekommt ein Gefühl dafür, wann sich eine Überlegung lohnt. Ansonsten war's das für den ersten Abschnitt. Nächste Woche wird ein Zendikar-Draft ausgegraben und dann in zwei Wochen gibt's den zweiten, viel relevanteren Teil. Gehabt euch wohl.