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Aus den Archiven: Making the Cut
von Tobias Henke
30.06.2024

[In dieser Reihe graben wir alte Veröffentlichungen aus den umfangreichen PlanetMTG-Archiven wieder aus. Der folgende Artikel erschien in leicht anderer Form ursprünglich am 20. Juli 2009, hat an Aktualität seither aber nichts eingebüßt. Immerhin behandelt er eine skandalöse Regeländerung, die trotz Protesten nie zurückgenommen wurde und die auch heute noch regelmäßig neue Skandale befeuert.]


Zunächst einmal: Die neuen Turnierregeln sind zum überwiegenden Teil ganz große klasse! Doch eine Sache geht einfach überhaupt nicht! Hier der neue Passus zum Mischen:

-Shuffling
Decks must be randomized using some form of riffle and/or mash shuffle at the start of every game and whenever an instruction requires it. […]

Once the deck is randomized, it must be presented to an opponent. […] The opponent may then shuffle it additionally.

Bevor ein Spiel beginnt und wann immer ein Effekt das verlangt, mischt man sein Deck. Anschließend darf der Gegner das Deck ebenfalls mischen (bei höheren Turnieren ist das sogar Pflicht!) und dann bekommt man sein Deck wieder und das Spiel geht weiter beziehungsweise los.

Fällt euch auf, was neu ist? Mir ist es beim ersten Lesen jedenfalls nicht aufgefallen. Es ist nämlich nichts hinzugekommen, dafür allerdings eine kleine, aber wichtige Sache weggefallen. Und was nicht da ist, sieht man bekanntlich auch nicht. Hier der Teil aus dem bisherigen Regelwerk, der weggefallen ist:

-The Final Cut
If the opponent has shuffled the player's deck, that player may make one final cut.

Dieser Passus wurde im jüngsten Update der Turnierregeln ersatzlos gestrichen. Bisher konntet ihr immer, wenn euer Gegner euer Deck gemischt hat, noch ein letztes Mal abheben. Jetzt nicht mehr.

Warum ist das relevant? Nun, ihr kennt vielleicht Zauberkünstler und deren Kartentricks: Ein fähiger Zauberer kann verblüffende Effekte erzielen, ohne dass man jemals sieht, wo der Trick ist. Der durchschnittliche Magic-Spieler ist zwar ein Zauberer (ein Planeswalker sogar), doch glücklicherweise nicht einer von dieser Sorte. Sonst wäre Magic ja kein Strategiespiel mehr, sondern ein Geschicklichkeitsspiel! Trotzdem gibt es eine kleine Minderheit innerhalb der Szene, die sowohl willens als auch in der Lage ist, beim Mischen zu schummeln. Das Dumme ist: Spielt man bei einem Turnier gegen einen unbekannten Gegner, weiß man nie, ob er dazugehört oder nicht.

Ich will hier bestimmt keine Panik schüren. Jeden Gegner unter Generalverdacht zu stellen, lohnt sich nicht – was sich aber lohnt, ist, das Schummeln möglichst unlukrativ zu gestalten. So lohnt es sich zum Beispiel einfach nicht, das eigene Deck zu manipulieren. Denn der Gegner wird ja noch einmal selbst durchmischen und dann ist jede bis auf die allerperfideste Manipulation zunichte.

Jedoch kann man genauso auch das gegnerische Deck manipulieren. Freilich kaum im selben Maße wie das eigene; immerhin verlangen die Regeln, dass man die eigenen Karten in eine „hinreichend zufällige“ Reihenfolge bringt, während man das gegnerische Deck bloß „zusätzlich mischen“ soll, und wer hier übermäßigen Aufwand betreibt, wird eventuell gerade die Aufmerksamkeit auf sich ziehen, die eine umfangreiche Manipulation unmöglich macht. Kurz gesagt: Umfangreiche Manipulation ist beim Mischen des gegnerischen Decks extrem unwahrscheinlich, doch geringfügige Manipulation ist zumindest möglich. Passenderweise kann das abschließende Abheben des eigenen Decks eine umfangreiche Manipulation nicht beheben – eine geringfügige Manipulation aber sehr wohl!

"Schon wieder nur ein Fetchland gezogen?"


Mal ein Beispiel: Ein berühmt-berüchtigter deutscher Spieler prahlte vor einigen Jahren gerne mit Geschichten, wie er seine Gegner mit dem tollen „Fetchland-Lock“ besiegt habe. Ob die Geschichten alle so der Wahrheit entsprechen, kann ich nicht beurteilen; jedenfalls konnte ihm dieses Vergehen niemals nachgewiesen werden. Der Fetchland-Lock funktionierte folgendermaßen: Sein Gegner opferte ein Fetchland, suchte sich ein Land, mischte und reichte ihm das Deck. Beim Mischen der gegnerischen Bibliothek hielt er die Karten dann so, dass er einen oder mehrere Blicke auf deren Vorderseiten erhaschte. Erspähte er dabei ein weiteres Fetchland, platzierte er dieses durch geschicktes Mischen unauffällig als oberste Karte. Wenn der Gegner nun das Abheben vergaß, zog er also wieder ein Fetchland, legte und opferte es … Und dann begann das Spielchen eben von vorne. Auf die Art zog der Gegner immer und immer wieder Land. So ein verdammtes Pech aber auch.

Wie oft der fragliche Spieler das praktiziert hat und wie oft es funktioniert hat, wie oft die Gegner das Abheben vergaßen; außerdem, wie oft es ihm möglicherweise sogar zum Nachteil gereicht hat, weil seinem Gegner zufällig doch noch ein Land zum Sieg fehlte … – all das kann ich wie gesagt nicht beurteilen, aber das ist auch nicht der Punkt. Der Punkt ist, dass es sich hierbei um eine vergleichsweise einfache und absolut plausible Form von Betrug handelt; eine Form, die potenziell verheerende Folgen hat; und eine Form, die durch das finale Abheben voll und ganz null und nichtig wird.

(… oder würde, wenn es das finale Abheben noch gäbe.)

Cheating: Ja/Nein/Vielleicht?

Das Risiko, bei so einem Cheat entdeckt zu werden, ist wahrlich gering. Vom eigenen Platz aus ist es verdammt schwierig, einzuschätzen, ob der Gegner beim Mischen in die Karten linst oder nicht. Es gibt Arten und Weisen zu mischen, die keinerlei Zweifel aufkommen lassen, aber insbesondere bei einem jener ach-so-coolen und dementsprechend beliebten Riffle-Shuffles ist es nur eine Frage von wenigen Grad, die darüber entscheiden, inwiefern der Winkel groß genug ist, um Einblick zu gewähren. Selbst bei der Mischtechnik des Ineinanderschiebens der Karten gibt es Haltungen, die einen Verdacht keineswegs zur Gewissheit erhärten, in Wahrheit aber das Schummeln erlauben.


In den Regeln steht dazu sinngemäß: Wann immer man glaubt, dass der Gegner nicht ordentlich verdeckt gemischt habe, solle man einen Schiedsrichter hinzuziehen, genauer: dann muss man einen Schiedsrichter verständigen.

Das ist in der Theorie theoretisch schön und theoretisch gut. In der Praxis jedoch scheitert diese Regelung daran, dass viel zu viele Spieler die Karten beim Mischen nicht völlig einwandfrei halten. Das liegt keineswegs daran, dass es viele Betrüger gäbe – die Leute sind schlicht faul, nachlässig und die Problematik ist ihnen nicht bewusst.

Warum ist sie ihnen nicht bewusst? Nun, dafür gibt es eine Erklärung von geradezu grandioser Einfachheit: Solange man das gegnerische Deck mischen und das eigene hinterher noch einmal abheben durfte, bestand überhaupt keine Notwendigkeit, so genau aufzupassen. Die DCI hat mit ihren eigenen Regeln die Grundlage geschaffen! Die wenigsten Spieler haben entsprechend überhaupt ein Unrechtsbewusstsein, was das leicht verdächtige Halten von Karten angeht. Schließlich gab es ja immer noch diese letzte Abicherung. Selbst wenn sich jemand am Deck zu schaffen macht … Dass er so einen tatsächlichen Vorteil erlangt, ist, wenn man immer brav mischt und abhebt, schier ausgeschlossen. Nicht, dass man immer brav gemischt und abgehoben hätte – aber allein die Möglichkeit dazu macht solche Manipulationen schlicht und ergreifend unrentabel.

So weit die Nachteile der neuen Regelung – jetzt die Vorteile:

Zeitersparnis
kürzeres Regelwerk
kein Cheating mehr beim Abheben

Die Zeitersparnis durch den Verzicht aufs Abheben beträgt pro Mischvorgang großzügig veranschlagte zwei Sekunden. Das Regelwerk spart sich fünfzehn Wörter … Und dass beim Abheben etwas nicht mit rechten Dingen zugeht, ist deutlich seltener, als dass beim Mischen ohne Abheben geschummelt wird. Ernsthaft, das ist ein Witz! Wer seine Karten so markiert hat, dass er nach ordentlichem Mischen noch in der Lage ist, genau festzustellen, wo im Deck sich eine bestimmte Karte befindet, der nutzt wohl eine ertatstbare Markierung und fliegt früher oder später auf. Das Problem an einer ertastbaren Markierung ist eben, dass sie ertastbar ist, und so könnte jeder Gegner und Schiedsrichter eine solche ebenfalls leicht erspüren.

Deshalb ergeht an dieser Stelle ein …

Aufruf an meine lieben Mitspieler

Die zufällige Reihenfolge der Bibliothekskarten ist das zentrale Glückselement in Magic. Behandelt es mit dem gebührenden Respekt! Andernfalls degeneriert das Ganze zu einem Test der Fingerfertigkeit und dann könnte man genauso gut Jenga oder Mikado spielen. Das betrifft ausdrücklich nicht nur die Cheater unter euch. Wenn ihr tatsächlich nichts Schlimmes tut, ist es sogar besonders idiotisch, Zweifel aufkommen zu lassen. Lasst es einfach bleiben!


Wenn ihr keinen Riffle-Shuffle beherrscht, ohne dabei auf die verdächtig gebogenen Karten zu schauen, dann mischt anders! Das willkürliche Ineinanderschieben von Karten ist sowieso besser, weil es schlicht more random ist. Und darum geht es ja.




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