Prolog daheim:
„Ich bin des trocknen Tons nun satt,
Muss wieder recht den Teufel spielen.
Der Geist der Medizin ist leicht zu fassen;
Ihr durchstudiert die groß' und kleine Welt,
Um es am Ende gehn zu lassen,
Wie's Gott gefällt.
Vergebens, dass Ihr ringsum wissenschaftlich schweift,
Ein jeder lernt nur, was er lernen kann;
Doch, der den Augenblick ergreift,
Das ist der rechte Mann.
Ihr seid noch ziemlich wohl gebaut,
An Kühnheit wird's Euch auch nicht fehlen,
Und wenn Ihr Euch nur selbst vertraut,
Vertrauen Euch die andern Seelen.“
(Goethe, Faust I)
Ähnlich wie Ende 2005 schreibe ich diesmal wieder über eine spezielle Karte, die ich ähnlich enthusiastisch wie Zur's Weirding sehe. Es folgt kein Aufschluss über ein ultimativ starkes Deck, sondern ein Einblick in die unnatürlichen Seiten des Turnieralltags. Ich bin jemand, der auf Turnieren spielt, um zu sehen wie die neuesten Taktiken aufgehen, nicht zwingend um zu gewinnen. Erfolgreich ist ein Turnier auch, wenn sich die eigenen Ideen als gelungen präsentieren.
Mein Artikel beschäftigt sich mit ihm:
Allgemein sagt man ja, Johnnys seien Combo-Spieler. Eigentlich versuchen sie aber nur, spezielle Karten in entweder bereits vorhandene Decks einzubauen (Kiki-Jiki im TaN, Patriarch's Bidding in Goblindecks, Wildfire im Angelcontrol), oder passendes Material für diese Karten zu finden, worum sich ein Deck dann drehen kann. Die letztere Variante manifestiert sich oft in Combodecks (TPS, Heartbeat) und seltener in Kontroll- oder Aggrodecks (Astral Slide). Der Unterschied vom Spike zum Johnny besteht darin, dass Johnnys ihre Decks selbst bauen. Ich versuche die oben gezeigt Karte in allen Versionen benutzen, werde von meinen Vorgängern berichten und meine eigene Turniererfahrung und Entwicklung mit den Decks vorstellen.
Beginne ich mit dem Deck, welches Mark Gottlieb in einem Artikel über das Tribal-Formatbeschreibt und in dem er die Möglichkeit zeigt, die Karte in einem Kontrolldeck einzusetzen.
Das Deck versucht mittels der Zauberer Kontrolle über das Spiel zu gewinnen, um dann (bei genug Mana) mit einer der Verzauberungen und Avarice Totem (funktioniert wie Donate) einen negativen Effekt auf der gegnerischen Seite auszulösen. Kontrolle erlangt es, indem es die Bedrohungen des Gegners annulliert, was am besten mit viel verfügbaren Ressourcen, Vedalken Mastermind sowie den Urborg Emissaries klappt. Letztere können gelegentlich gar für erste Schadenspunkte sorgen. Hat man die gewünschte Verzögerung des Spiels erreicht, wechselt man mit dem Avarice Totem die Kontrolle über die Delusions of Mediocrity oder den Nefarious Lich. Als Reaktion dazu aktiviert man das Totem nochmals, um jetzt die Kontrolle mit einer gegnerischen bleibenden Karte zu tauschen. Nach dem Abarbeiten des Stapels liegt eine der Verzauberungen auf der gegnerischen Seite, und eine Karte des Gegners auf der eigenen. Dies kann man dann mit einem der Bounce-Sprüche ausnutzen. Grob funktioniert sein Deck wie das Trix-Deck (Ilusions-Donate) in Vintage oder Legacy.
Einen anderen Weg finden die Combo-Spieler. Beispiele dafür bieten Markus Bell bei den Nationals '02, Klaus Huebert beim GP Milwaukee '02 und Florian Liederbach in einem Artikel hier bei PlanetMTG. Bell und Huebert erhalten mit Overgrown Estate Leben, stattdessen ziehen sie aber mit dem Nefarious Lich viele Karten. Innerhalb dieser Karten wird dann (hoffentlich) ein Sickening Dreams sein, das sie zum Sieg führt. Statt selbst Schaden durch die Sickening Dreamszu erhalten, entfernen sie einfach die just abgeworfenen Karten aus dem Friedhof, denn so kommt es zu einem Sieg statt einem Unentschieden.
Beide Decks sind ähnlich aufgebaut. Mit Duress und Persecute verhindern sie, dass ihnen Komboteile unterbrochen oder zerstört (!) werden. Beide haben Tutormöglichkeiten: Markus Bells buntere Version kann sogar Sterling Grove unterstützen, während an Klaus Hueberts Version die Kombination aus Insidious Dreams und Skeletal Scrying ziehmlich trickreich ist. Neben dem Ermöglichen der dreifarbigen Overgrown Estates bringen die Rampant Growths gleichzeitig drei Leben, also mehr Karten, die man während der Combo ziehen kann.
„Der Lich wird hier dank fehlenden Donates etwas würdevoller behandelt, als eine billige, auf einer Bahnhofstoilette wohnhafte… die Schlüsselkarte spricht schon für sich.“
Hier haben wir eine weitere Version des Combo-Decks. Hat man Confessor, Skirge Familiar und den Namensgeber des Decks im Spiel, kann man mit einer beliebigen Karte in die Combo starten. Man wirft eine Karte ab, bekommt ein schwarzes Mana und einen Lebenspunkt – nein: eine Karte in die Hand. Diesen Schritt wiederholt man dann abertausend Male, dank der Legacy Weapon gehen einem die Ressourcen dazu nicht aus. Die Drain Life benutzt man schließlich zum Gewinnen. Leider nur theoretisch, wie von Florian bereits treffend formuliert:
„Ich habe hier diesen Kartenhaufen, zwei volle Hände rauswühlen, random basic lands dazu und fertig ist der Lich-Killer“ – schade.
Der Tragödie erster Teil
Wie angekündigt beinhaltet dieser Artikel auch Turnierberichte, wissentlich berücksichtige ich dabei jedoch nur die interessanten, lustigen oder anderweitig nennenswerten Szenen. Begonnen hat alles auf den German Legacy Championships in Aschaffenburg (nach machtvollem 5-7-2 bei den Nationals…). Am Anfang war nicht nur das Wort, sondern auch eine Idee: Nefarious Lich + Nourishing Shoal + Autochthon Wurm, aus der Schmiede von Team N! aus Hessen. Die erste Version konzentrierte sich noch komplett auf einen schnellen Nefarious Lich-Kill. Wie man am Sideboard sehen kann, spiele ich das Deck ungetestet, was bedeutet, dass alle Überlegungen bis dahin lediglich im Kopf oder auf dem Papier stattfanden.
Die random choices im Sideboard lassen sich so erklären: Bottle Gnomes sind die „pet card“ von Jens Jäger, der mir damals noch etwa drei Viertel des Decks leihen musste. Das Bild des Order of the Ebon Hand fand ich schlichtweg zu böse, um es nicht den letzten Slot füllen zu lassen und das Zur's Weirding darf ideologisch in keinem meiner Deckentwürfe fehlen. An die fehlenden drei Karten [in der Liste durch die 3 Forest repräsentiert –H.] kann ich mich leider nicht mehr erinnern und die alten Decklisten finde ich auch nicht mehr.
Das Deck kombiniert Nourishing Shoal mit Autochthon Wurm, um 15 Karten zu ziehen, und dann wie die Versionen von 2002 mit einem großen Sickening Dreams das Spiel beenden zu können. Ich glaube es ist Runde 1, in der ich prompt die fast-Traumhand bei gewonnenem Würfelwurf zugemischt bekomme. Auf meinen Sumpf reagiert er leider mit Ebene, Chrome Mox und Kami of the Ancient Law, was die Stärke meiner Hand (Dark Ritual, Nefarious Lich, Nourishing Shoal, Autochthon Wurm, Sumpf) direkt von Hundert auf Null sinken lässt. Die einzig mögliche Chance noch zu gewinnen, nämlich den Kami of the Ancient Law mit zwei Academy Rectoren zu blocken, kann ich natürlich nicht nutzen, da sein Feld nicht wirklich leer bleibt.
Nach der enttäuschenden Konfrontation gegen Goblins mit Blood Moon werde ich beim Stand von 2-2 gegen ein unkonventionelles B/W Aggro gepaart. Interessant an diesem Matchup war die Interaktion meines Liches. Denn mit Mourning Thrull, Exalted Angel und Umezawa's Jitte fügt er mir keinen Schaden zu, da der Lich diesen Schaden replaced. Der Schaden passiert nie, also triggert weder das Messer noch die Kreaturen. An einem Withered Wretch und Vindicate auf Moat habe ich das Match trotzdem noch verloren.
Eine lustige Situation des Events, für mich, die Zuschauer und womöglich auch den involvierten (jetzt Level-3-Judge) Falko Görres passiert dann in Runde 5, gegen Lukas Preuss. Während ich ihm mit zwei Duress und Gerrard's Verdict die Counter nehme (nach einer ziehmlich untragbaren Starthand), bringt er bereits mehrere Nimble Mungoose und einen Werebear mit Treshold online, womit er mich kontinuierlich angreift. Irgendwann bin ich schließlich auf circa sechs Leben und es liegen zehn Schaden auf dem Stapel.
Er fragt sich also: „Was kann dem B/W Aggro da noch helfen?“
Ich geb ihm die Antwort, aus Flavorgründen zeitlich ein klein wenig verzögert („damage on the stack?… Thinking…): Nourishing Shoal + Autochthon Wurm für 15 Leben. Er ist erstmal völlig perplex. Nun ja, was macht er wohl in dieser Situation? Das Richtige, sich zunächst die Karten durchlesen. Als er dann realisiert, dass ich dadurch seinen Angriff überlebe, ruft er den Judge.
Er zog wohl in Betracht, ich hätte diesen Trick aus dem Ärmel geschüttelt.
Hier der wahrlich ungewöhnliche Judgecall (sinngemäß zitiert):
Lukas P.: „Judge! Judge, also mein Gegner, ich schätze mal er spielt B/W Suicide, naja… und plötzlich spielt er diesen Shoal, den grünen aus Kamigawa… *stotter* …und dann war da auf einmal dieser WURM!!! Und ich frage mich, also naja… ich will nicht unsportlich erscheinen oder so… aber…“
Philip B.:„Er glaubt mir nicht, das ich diese urgute Tech spiele.“
Judge (kennt mein Deck aus IRC) spontan: „Ja, Wurm und Shoal sind im Deck.“
Sowie das geklärt ist, ist er zwar weiterhin etwas verwirrt und ungläubig, da die Life-Gain-Tech aber nur zwei Züge hält, geht das Spiel trotzdem an ihn. (In Spiel 2 resolve ich die Kombo, das dann entscheidende Spiel gewinnt er). Die darauf folgende Runde werde ich gegen Sven Müller gepaart, der mir auch direkt ein ID anbietet (er hat dem Spiel gegen Lukas Preuss zugesehen). Ich lehne ab, denn ich will spielen und gehe am Ende des Turnieres immerhin noch 3-5.
Von chinesischen Lichs und Kreaturenremoval
Das zweite Turnier des sich nun weiterentwickelnden Lichdecks findet im August 2006 in Iserlohn statt. Dort wurden vor allem die Vorteile eines noch unbekannten Decks bemerkbar.
Hoffentlich war es nicht die Version der Karte (traditional chinese), die meinen Gegner mit Rifter nach dem Durchziehen der Combo im ersten Spiel davon abhielt, Disenchant und Abeyance zu boarden. Im zweiten Spiel kann er mich zwar mit Chalice of the Void (X=1) ein wenig verlangsamen (Duress, Dark Ritual, Cabal Therapy), wirklich störend auf die Combo wirkt sich seine Idee jedoch nicht aus.
Ein paar Runden später werde ich gegen Solidarity gepaart. Er hat zwei Inseln und mit Dark Ritual spiele ich den Lich. In Reaktion auf den anschließenden Shoal macht er leider High Tide in den Reset, danach Cunning Wish auf Chain of Vapor und dann berührt er mit diesem den Lich – unglücklich. Sieht man diese Niederlage im Verhältnis zur Anzahl der vom Deck gespielten Games, ist die Wahrscheinlichkeit, auf Lichs leave-play-trigger zu stoßen, noch immer relativ ungefährlich (1:30).
Wenn auch unpowered, so versprechen die Tutoren in Vintage mehr Stabilität für das Deck, so probiert in Bamberg beim Vintage-Turnier:
Insgesamt ist dem auch so, leider gilt dieses erhöhte Powerlevel aber auch für die Gegner. So wurde mein möglicher Turn-1-Kill von Trinisphere nach Mishra's Workshop vereitelt. Die anderen drei Spiele gegen Staxx verliere ich wegen Sphere of Resistance und Smokestack (man braucht im Normalfall zwei Sümpfe zum Loslegen). Auf der anderen Seite hat Bamberg auch glückliche Szenen, da ich den ich den White-Weenie-Gegner jeweils Turn 2 und Turn 1 besiege, wobei ich den Turn-1-Kill ihm verdanke: Er hatte in seinem Zug eine Ebene gelegt, ohne zu bedenken, dass er diese in sein Abolish hätte abwerfen können.
Der allererste Versuch, Lich auch in Extended halbwegs erfolgreich einzusetzen, scheitert dann leider in Iserlohn.
Ironischerweise wird mir nach einem Duress im Tooth-and-Nail-Matchup in Runde 3 dieser autochthone WURM aus Ravnica revealt, was mich etwas aus der Bahn wirft. Da dieser WURM aus Ravnica wie der Rest des gegnerischen Decks pinke Hüllen hat, muss meine Gegnerin ihn wohl als Alternative zum Darksteel Colossus benutzen. Peinlich wird zuletzt noch Runde 5 des Turniers, in welcher ich für Engineered Plague den Kreaturentyp Katzen optimal gegen die Mirrodin-Block-Katzen (mit Equipment wie Leonin Scimitar) ansage, das Match am Ende aber doch noch 1-2 verliere.
Das Turnier hat gezeigt, dass man für das Deck unbedingt Tutoren braucht. Dark Confidant ist zwar riskant (Soul Spike, Autochthon Wurm), lohnt sich letzten Endes aber doch, da man auf der einen Seite Futter für eine Cabal Therapy-Rückblende hat und auf der anderen Seite die Länderzahl noch weiter herunterschrauben kann. Seitdem testete ich weiter online (auf Magic League), primär im Extended-Bereich, und bin zu dem Schluss gekommen, dass folgende Version (für 1.x) sehr gut geeignet ist. Klar kann man Pech haben, was Dark Confidant und Tainted Pactangeht, aber das Deck läuft ziemlich konstant (Combo durchschnittlich Turn 5) und deshalb kann man erwarten, mindestens im Mittelfeld der Standings eines Turniers zu landen.
Im Legacy-Format bleibt es selbstverständlich auch nicht beim ganz alten. Jens Jäger hat in Hanau das Deck weiterentwickelt und letztlich eine Top 8 (3-1-1) einfahren können:
[Die 4 Demonic Tutor in der Deckliste sind eigentlich 4 Grim Tutor, weil Demonic in Legacy nunmal nicht legal ist, aber das Skript will Grim Tutor nicht kennen.]
Sicherlich kann man Lich außer in Combodecks auch einfach nur als synergetische Karte eines Kontrolldecks einsetzen, schließlich gewinnen diese durch Kartenvorteil. Neben meiner persönlichen Vorliebe für Blau bietet sich diese Farbe gerade zu an, da sie potenzielle Naturalizes neutralisieren kann. Diese Idee ist jedoch noch nicht reichlich genug getestet, weshalb ich den folgenden Entwurf nicht zum Nachahmen empfehle, sondern die Deckliste lediglich als Anstoß für Deckideen mit zum Beispiel dem Nefarious Lich dienen soll.
Das Jahr 2007 wird neben der von TeamN! angestrebten „Lich World Domination Tour“ hoffentlich die große Welt für Deckbauer wie mich beinhalten. Auch wenn es mindestens ein Jahr gedauert hat, bis aus der simplen Idee „Lich spielen“ ein akzeptables Ergebnis geworden war, hat sich die Mühe (natürlich) gelohnt, da nicht nur die Auseinandersetzung mit einem Problem „Lich spielen“, sondern besonders das Spielen selbst sehr viel Spaß gemacht hat.
Anschließen an diese Gedanken – also an die Idee, selbst Decks zu entwerfen und zu entwickeln – könnte sich von meiner Seite aus demnächst ein weiteres gewisses Legacy- und Extended-Deckkonzept, das schon mal vor ein paar Jahren im Extended ganz vorne mit dabei war: Solution mit Stifle. Die wohl ungerechtfertigt in Vergessenheit geratenen Verzauberungen Parallax Tide, Parallax Nexus und Parallax Wave sowie Suppress aus Apocalypse haben da nämlich eine gute Synergie mit Stifle oder Trickbind.
Bei Magic geht es schließlich nicht immer um den Sieg, sondern vielmehr darum, Spaß daran zu haben, was auch immer man macht. Zum Schluss gibt es noch ein Zitat zum Nachdenken:
[15:15:26] Ayahuasca: eigentlich gewinnt der Haufen gegen nichts, aber das Mirror ist sehr ausgeglichen.
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