Die Deutsche Meisterschaft ist vorbei und mit ihr sind auch die Formate Standard sowie Alara-Limited weitestgehend abgehandelt. Entsprechend gab's in der letzten Woche bereits zwei Artikel (übrigens gute) zum Thema M10-Draft, und jetzt will ich auch mal... Ohne besondere Ordnung (Gedanken vom Grabbeltisch, ihr wisst schon) gibt's im Folgenden ein paar Erfahrungen, die ich mit dem Set bislang gemacht habe.
Play or Draw?
Bevor Nico das angesprochen hat, hätte ich mich ja fast gar nicht getraut, solch ein „bold statement“ abzugeben, aber es ist nun einmal so, dass ich nach Möglichkeit niemals anfange. Nie!
Zwei-, vielleicht dreimal ist es bisher vorgekommen, dass ich mich hinterher darüber geärgert habe. (Allerdings habe ich auch erst sechs Drafts hinter mir – immerhin mit fünf erreichten Finalen.) Und zwar jedes Mal gegen grüne Decks. Dabei ist es nicht ein gefürchteter Speed-Start mit Llanowar Elves und Centaur Courser, der einem zu schaffen macht. Vielmehr zeigt sich der Vorteil des Anfangens meist erst im späteren Spiel:
Zum einen hat Grün schlicht mehr Kreaturen (oder zumindest mehr sinnvolle Kreaturen). Während andere Gegner oft irgendwann einen Zug aussetzen, in dem man dann aufholen kann, ist Grün dazu in der Lage, den Jede-Runde-ein-Drop-Modus bedrohlich lange aufrechtzuerhalten.
Zweitens sind die grünen Kreaturen ein wenig dicker – nicht unbedingt doppelt so dick wie andere, aber eben mit einem relevant höheren BMI. Das allein ist ein Vorteil, der sich in einem dermaßen trägen Format durchaus ausgleichen lässt, zumal mit einer Extrakarte. Anzufangen, ist ebenfalls ein Vorteil, der sich problemlos ausgleichen lässt. Nur wenn beides zusammenkommt – dann hat man ein Problem.
Catching Up On Sleep
Okay, nachdem LSV schon geschrieben hat, Sleep sei die „most overrated card in M10“, gibt es hier keine „breaking news“ mehr, aber damit es auch wirklich in den letzten Winkel vordringt, kann es sicher nicht schaden, die Info zu wiederholen: Sleep ist kein legitimer First Pick!
Ja, es gibt Decks, in denen Sleep ziemlich stark ist. Blau-Grün oder Blau-Weiß mit vielen Kreaturen oder überhaupt irgendeinem Deck mit vielen Kreaturen vermag Sleep als Bombenersatz zu dienen. Und keine Frage, Sleep gewinnt in der richtigen Situation Spiele... – aber genau das lässt sich über so ziemlich jede Karte sagen. Und ob man am Ende ein Deck zusammenbekommt, in dem Sleep wirklich glänzt, lässt sich am Anfang einfach nicht bestimmen. Es ist der ultimativ unflexible Pick, schlimmer noch als Tendrils of Corruption. Das setzt einen wenigstens nur in eine Farbe (wenn auch sehr tief). Sleep hingegen bedingt, dass man einerseits ein blaues Deck draftet und andererseits eine hohe Anzahl an offensiv tauglichen Kreaturen, die sich ausgerechnet in Blau nun wirklich nicht tummeln. Wie oft habe ich gesehen, dass ein blauer Magier in etwa Horned Turtle, Merfolk Looter, Wall of Frost und einen Flieger kontrollierte, von denen Letzterer auch prima schlaflos angreifen konnte! Welch grandioser Topdeck Sleep in so einem Fall doch ist – endlich kann Horned Turtle mit einstimmen, wenn Michelangelo, Donatello und die anderen „Cowabunga“ rufen und zum Angriff stürmen.
Noch letzte Woche beim Draft wollte man mir erzählen, Sleep sei doch so ähnlich wie Overrun. Dieser Vergleich hinkt nicht mehr bloß – er robbt auf den Brustwarzen! Die Fälle, in denen +3/+3 und Trample besser ist als zweimaliges ungestörtes Angreifen (was ja nicht einmal garantiert ist), lohnen sich gar nicht aufzuzählen, weil es sich dabei um den Regelfall handelt. Die eine Karte ist gut, wenn man gute Kreaturen hat, die andere ist gut, wenn man... überhaupt Kreaturen hat.
Apropos...
Eine ebenfalls furchtbar beliebte Karte ist Safe Passage und auch die macht ganz tolle Dinge –wahlweise reaktive Dinge oder kreaturenabhängige Dinge, in jedem Fall aber in Abhängigkeit von zusätzlichen Faktoren. Dass sie tolle Dinge macht, ist toll; ihre Zuverlässigkeit dabei halte ich jedoch für ungleich entscheidender. Dummerweise gibt es hier eine Falle, die verhindert, dass einem das überhaupt jemals auffällt. Denn wenn man ständig Safe Passage über solide Kreaturen draftet, schafft man gerade erst solche Situationen, in denen man Safe Passage dann dringend benötigt, um seinen Hintern zu retten. Klar, dass man sich auf die Art wieder und wieder bestätigt sieht.
Selbst Siege Mastodon picke ich jedenfalls noch locker darüber. Safe Passage ist eine Karte, die keine essenzielle Aufgabe erfüllt; es ist die Kür, nicht die Pflicht; die schicke Dachkonstruktion, nicht das Fundament; der Zuckerguss, nicht der Kuchen. Ich hätte ja gerne öfter eine Safe Passage im Deck (denn wer steht nicht auf Zuckerguss?), aber solange so viele Spieler die Karte dermaßen hoch picken, wird daraus wohl nichts. Hört auf damit!
Ice Cage & Illusionary Servant
In einem Format, in dem Kartenvorteil, real oder virtuell („potenziell“ wäre übrigens ein treffenderes Wort, finde ich), entscheidend ist, habe ich beide dieser Karten nur äußerst ungern im Deck. (Aber Limited bedeutet natürlich, dass man sich das nicht immer aussuchen kann. Und im Zweifelsfall lässt sich mit ausreichend Merfolk Looter sowieso alles spielen.)
Zunächst einmal gilt prinzipiell: lieber Illusionary Servant als Ice Cage. In viel zu vielen Fällen werden beide Karten über kurz oder lang abgestellt – nicht zwingend mit Kartenvorteil für den Gegner, oft aber mit Kartenqualitätsvorteil –, doch während Ice Cage Spiele tendenziell verlängert, verkürzt Illusionary Servant sie. Der Servant ist eine der aggressivsten Karten (wenn nicht sogar die aggressivste Karte) seiner Farbe und als solche stellt er dem Gegenüber ein Ultimatum: Finde eine Anwort in den nächsten x Zügen oder aus ist's! (Wobei x die Anzahl der gegnerischen Lebenspunkte geteilt durch drei ist.) Ice Cage auf der anderen Seite funktioniert ganz ähnlich, nur eben... auf der anderen Seite. Er bringt nicht zusätzliche Power ins Spiel, sondern nimmt sie heraus. Er stellt einem selbst ein Ultimatum: Gewinne in den nächsten x Zügen, bevor der Gegner eine Antwort findet.
Den Gegner unter Zugzwang zu setzen, ist offensichtlich besser, als sich selbst unter Zugzwang zu setzen. Trotzdem gibt es Decks, in denen die eine wie auch die andere Karte ganz in Ordnung ist. Mit einer ohnehin aggressiven blau-weißen Air-Force-Strategie würde man beispielsweise die feindliche Giant Spider im Ice Cage einkerkern und sich freuen. Aber während die eine Karte die Autoaggression bereits eingebaut hat, bedarf die andere externer Aggression. Im Endeffekt ist es wieder wie der Unterschied zwischen Overrun und Sleep.
Und das ist nur die abstrakte, halbe Wahrheit. Hinzu kommt noch, dass Ice Cage bedeutend einfacher kartenvorteilhaft auszuschalten ist. So werden an einem durchschnittlichen 8er-Drafttisch zum Beispiel zwischen drei und vier (und zwar eher vier) äußerst spielbare Equipments aufgemacht, potenziell findet sich eins also in jedem zweiten Deck! Und jedes Mal wenn ihr in einen vereisten Blocker angreift, betet, dass euer Gegenüber weder Kindled Fury noch Giant Growth hat! Der ist zwar häufig nicht ganz gut genug fürs Maindeck, aber sobald man auch nur einen Ice Cage beim Gegner erspäht, keine schlechte Sideboard-Option.
Apropos – noch ein wenig schwieriger einzusetzen, aber keineswegs undenkbar sind Holy Strength und Unholy Strength (Oakenform ja sowieso). Hat man insgesamt zwei Exemplare aus dem Bereich Ice Cage/Illusionary Servant gesehen, boardet man zusätzliche Stärke. Bei noch mehr lässt sich selbst über Firebreathing, Lifelink, Jump oder Panic Attack nachdenken... Nicht immer mit Kartenvorteil, aber zumindest immer mit Kartenqualitätsvorteil lassen sich die beiden blauen Karten also problemlos entsorgen.
Ironie des Schicksals: Das lohnenswerteste Ziel für Ice Cage...? Nun, natürlich Illusionary Servant.
D-Mark
Des Öfteren begegnete mir nun schon Deathmark in Sideboards, während ich mindestens ein Exemplar ohne Zögern ins Maindeck meiner schwarzen Decks zu stecken pflege (in seltenen Fällen auch zwei). Die Erfahrungen waren bislang hervorragend und ich bin mir ziemlich sicher, mich hierbei nicht zu irren, obwohl das Maindecken von potenziell nutzlosen („toten“) Karten in einem Format, in dem zuvorderst Kartenvorteil über Sieg oder Niederlage entscheidet, natürlich fragwürdig erscheinen mag.
Im M10-Draft existieren zehn 2-Farben-Kombinationen; von diesen enthalten einzig drei weder Weiß noch Grün. (Und die, die Weiß oder Grün enthalten, enthalten in der Regel auch reichlich derart gefärbte Kreaturen.) Theoretisch könnte man also davon ausgehen, dass Deathmark in 70% ein sinnvolles Ziel findet. Praktisch bestehen allerdings ein paar Einwände: Zum einen behaupten viele Stimmen, dass die beste 2er-Farbkombination in M10 immer noch das berühmte schwarz-schwarze Deck sei bzw. dass Schwarz allgemein überdurchschnittlich viele Drafter versorgt. (Und hierbei handelt es sich um eine „self-fulfilling prophecy“ – selbst wenn es eigentlich gar nicht stimmt, würden Leute dementsprechend draften und dadurch die Aussage wahr machen.) Alternativ heißt es, schwarze Archetypen seien relativ stark, und man will doch nicht ausgerechnet gegen starke Decks ein zusätzliches Handicap in Kauf nehmen...
Andererseits gilt, dass zumindest Blau-Rot relativ selten auftaucht. Und am allerwichtigsten ist, dass in der Debatte um die Maindecktauglichkeit von Deathmark eine Grundvoraussetzung bereits zweifelsfrei gegeben ist: Eines der schwarzen Decks am Tisch befindet sich gerade in den eigenen Händen! Ganz gleich wie tief Schwarz auch sein mag – Blau-Schwarz, Schwarz-Rot und Blau-Rot werden zusammen niemals mehr als ein Drittel der Gegner ausmachen, die einem anderen schwarzen Deck im Turnierverlauf begegnen. Die Schlussfolgerung: Deathmark ist eine Sideboardkarte, die man öfter einboardet, als dass man sie im Sideboard lässt. Und die Schlussfolgerung daraus: Sie gehört ins Maindeck und sollte bei Bedarf ausgeboardet werden. Und die Schlussfolgerung daraus: Man sollte sie im Draft entsprechend hoch bewerten.
Kartenvorteil über Kartenqualität
Es gibt verschiedene Theorien über die korrekte Zählweise von Kartenvorteil. Wenn der Gegner Mind Spring mit = spielt und man selbst reagiert mit Cancel, ist das dann Kartenparität, weil man ein Cancel gegen einen Mind Spring tauscht? Oder ist es Kartenvorteil +5 oder +6, weil andernfalls der Gegner Kartenvorteil +6 generiert hätte? Und wenn in China ein Sack Reis umfällt und niemand zugegen ist, um das zu bemerken, macht der Sack dann überhaupt ein Geräusch? – Alles Erbsenzählerei! Das Einzige, was man wissen muss, ist, dass man an dieser Stelle üblicherweise gut daran tut, sein Cancel zu zücken/zocken. Allgemeiner formuliert: Es ist nicht nur wichtig, selbst Kartenvorteil zu erzeugen, gleichermaßen will man die gegnerischen Bestrebungen in diese Richtung unterbinden.
Mit M10 ist das Ganze noch einmal komplizierter. Kartenvorteil war noch nie so eng mit Kartenqualität verzahnt wie in dieser Limitedumgebung – aus dem einfachen Grund, dass rein numerischer Kartenvorteil so schwierig zu generieren ist. Denn die Standardprozedur zum Erlangen von Kartenvorteil ist hier explizit nicht Mind Spring oder dergleichen, sondern das „Übertrumpfen“ gegnerischer Karten, in der Hauptsache von und mit Kreaturen. Sobald auf der anderen Seite ein dickerer Blocker liegt, sind die kleineren Angreifer abgemeldet. Das ist die mit Abstand häufigste Form von Kartenvorteil in diesem Format.
Überraschung! In diesen letzten beiden Absätzen ging es – wenn auch nicht ausschließlich – weiterhin um Deathmark. Zwar erzeugt Deathmark normalerweise keinen Kartenvorteil (obwohl ich das auch schon mal geschafft habe, Armored Ascension sei Dank!), aber es holzt dicke grüne oder weiße Kreaturen ab, die ihrerseits (virtuellen/potenziellen) Kartenvorteil erzeugen. Das Mind Spring/Cancel-Beispiel sollte verdeutlichen, dass letztlich kein Unterschied zwischen dem einen und dem anderen besteht. Gegnerischen Kartenvorteil zu verhindern, ist genauso wichtig, wie eigenen Kartenvorteil zu erzeugen. Deshalb ist Deathmark eine grundsolide Maindeckkarte – nicht nur weil es so selten eine tote Karte (Kartennachteil) darstellt, sondern weil es in allen anderen Fällen den gegnerischen Trumpf (Kartenvorteil) zu übertrumpfen vermag.
Letzte Worte...
M10-Draft ist ein schönes Format, weil in den allermeisten Fällen das bessere Deck auch tatsächlich gewinnt. M10-Draft ist ein blödes Format, weil in den allermeisten Fällen das bessere Deck auch tatsächlich gewinnt... |
M10-Draft ist ein schönes Format, weil in den allermeisten Fällen das bessere Deck auch tatsächlich gewinnt. Schon seit geraumer Weile spiele ich, nachdem ein Match beendet ist, mit meinem Gegner immer noch ein bisschen „aus Spaß“, und häufig wird dabei ein ursprünglicher 2-1-Sieg zu einer (nicht gewerteten) 2-3-Niederlage, oder umgekehrt; oder im Extremfall gar ein 0-2 zu einem 5-2 etc. Das ist für einen von beiden frustrierend; schließlich deutet es darauf hin, dass er bloß Pech gehabt hat. Mit M10 ist ein Wechsel einer solchen Tendenz durch eine größere Stichprobe extrem selten. Wer im Draft gut aufpasst, Signale liest, seinen Farben treu (aber nicht zu treu) bleibt und die Karten ordentlich bewertet, der hat hinterher ein starkes Deck und der wird dafür mit hoher Wahrscheinlichkeit im Spiel belohnt... Und das ist schön.
M10-Draft ist ein blödes Format, weil in den allermeisten Fällen das bessere Deck auch tatsächlich gewinnt. Ja klar, man kann's schon noch verzocken, jedoch besteht überhaupt kein Vergleich zu den Misplay-Möglichkeiten des Alara-Blocks. Die meisten Partien werden nicht im Spiel, sondern bereits im Draft entschieden. Und das ist eben gut (s.o.), insofern man selbst darauf Einfluss nehmen konnte, aber schlecht, insofern man Glück mit den aufgemachten/geschobenen Karten hatte. Wenigstens die letzten Prozentpunkte, die aus einem 2-1-Deck ein 3-0-Deck machen, gehen meiner Erfahrung nach regelmäßig auf das Konto irgendwelcher Rare-Spoiler oder Uncommon-Bomben.
Bis zum nächsten Mal tappt für euch weiter im Dunkeln...
TobiH
#492
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