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Standard À la française: French Open Toulouse - Teil 1 von Sebastian H.. |
06.06.2005 |
Zwischen all die zu erwartenden Berichte von den Regionals in Deutschland schleicht sich mit diesem Artikel klammheimlich ein Text ein, dessen Entstehung für den Autor genauso unvorhersehbar war, wie die Ereignisse, die in ihm beschrieben werden.
Das klingt nicht schlecht, was? Tatsächlich ist es aber nur wieder die übliche Mischung aus epischen Roadtrip-Geschichten zu weit entfernt stattfindenden Turnieren, fremden Städten bei Sonnenaufgang, unheimlich scharfsinnigen, nie dagewesenen Spielzügen und einleuchtenden Erklärungen, warum es – (natürlich) denkbar knapp und total unglücklich – wieder mal nichts geworden ist.
Alles beginnt Anfang April mit dem Ende des Semesters in Bordeaux, meinem Exilwohnsitz für ein Jahr, das sich mittlerweile auch stark seinem Ende zuneigt. Weil ich die Regionals in Deutschland verpassen würde, wollte ich wenigstens die French Open in Toulouse spielen, die für die Teilnahme an den französischen Nationals qualifizieren. Nicht, dass ich da dann unbedingt spielen muss, es war einfach die Lust, mal wieder ein solides Type II-Turnier zu spielen.
Dieser Artikel beschreibt die verzweifelten Versuche, dieses Ziel zu erreichen. Um keine falschen Erwartungen zu wecken. Das hier ist keine Standard-Analyse, nicht mal ein richtiger Turnierbericht (den gibt es im zweiten Teil). Ich habe einfach - ganz unambitioniert – einen Artikel geschrieben, der versucht, anschaulich zu machen, was passiert, wenn DCI Floor Rules und Turnierorganisation und südfranzösische Mentalität kollidieren. Vielleicht sieht der eine oder andere die Magic-Szene in Deutschland hinterher mit anderen Augen (vor allem was Erreichbarkeit der Turniere angeht).
Um in einer fremden Stadt Magic-Turniere zu spielen, muss man Menschen finden, die das auch wollen. Schon Anfang des Jahres waren meine Versuche, in die lokale Magic-Szene der Aquitaine einzusteigen an der einfachen Tatsache gefizzled, dass es ganz einfach keine Szene gibt. Daraus ergaben sich für den Open-Plan ein paar interessante Probleme. A) Ich kenne das Format nicht, was nicht weiter schlimm ist, weil ich b) auch keine Ahnung habe, wie ich eigentlich nach Toulouse kommen soll und c) sowieso nicht über ein Deck verfüge. D) Überhaupt ist die Frage, ob man als Deutscher das Recht hat, ein Turnier in Frankreich zu spielen, das für die nationalen Meisterschaften qualifiziert?
Das letzte Problem lässt sich theoretisch zügig lösen, indem man eine Email an den Verantwortlichen des französischen Dachverbandes schreibt, der natürlich nie geantwortet hat. Die anderen Probleme plane ich durch einen genialen Schachzug zu lösen. Zwei, drei Wochen vor den Open ist das Pre-Release der Sauveurs de Kamigawa in Léognan, laut Karte ein Vorort von Bordeaux. Dort lerne ich einfach die guten Spieler der Region kennen, bekomme ein Deck von denen, teste ein wenig, fahre mit ihnen nachToulouse und schon hab ich mein Turnier.
Soweit die Theorie.
Avant-première: Savieurs de Kamigawa
Am Tag des Pre-Release - wie in Frankreich üblich - ein Sonntag, stehe ich morgens (natürlich bei Sonnenaufgang) an der Bushaltestelle. Der Bus kommt nicht. Sie schreiben ja auch extra auf die Abfahrtspläne, dass alle Angaben eher als Richtlinien zu verstehen sind. Nach unheimlich spannenden vierzig Minuten kommt er dann doch noch und die Fahrerin erklärt mir, dass sie überhaupt keine Ahnung hat, wo Léognan sein soll. Als ich schon wieder auf dem Weg nach Hause bin, kommt sie mir hinterhergerannt (den Bus hat sie einfach mal schnell abgestellt) und sagt mir, ich könne bis zur Endhaltestelle mitfahren und von da aus laufen. Sie hat nämlich beim Kollegen gefragt, und der wusste, dass es nicht weit ist. Sagt er wenigstens.
Eine halbe Stunde später stehe ich zwischen blühenden Wiesen, frühlingsgrünen Bäumen und einer von Menschen unberührten Wildnis. Der Bus ist weg, immerhin hat man mir die
Richtung nach Léognan gezeigt. Häuser gibt es keine, dementsprechend auch keine Menschen. Ich laufe also los und knappe zwanzig Minuten später stehe ich voll im Wald. Es ist wirklich herrlich, früh morgens, die Sonne scheint, die Vögel zwitschern, kleine Rehkitze hüpfen an malerischen Wasserfällen vorbei, nur irgendwie kommt man sich mit 40 Hüllen und Standardländern im Gepäck im Urwald nahe Bordeaux doch irgendwie fehl am Platze vor. Nach weiteren 10 Minuten gelingt es mir, ein Auto anzuhalten. Eine junge Frau bietet mir einen erste-Klasse Sitzplatz in ihrem Renault an (seh ich wirklich so harmlos aus?) und fährt mich tatsächlich nach Léognan bis vor die Tür der "Stadthalle", wo das Turnier stattfindet. Ich komme mit einer halben Stunde Verspätung gerade noch rechtzeitig zur Anmeldung und man lässt mich mitspielen. Das nenne ich Glück.
Hand aufs Herz: Wer von euch ist schon mal per Anhalter zur Site gefahren?
Im Lauf des Tages beantwortet sich dann auch die Frage, wieso man in einem 1500 Seelen-Kaff wie Léognan das einzige Pre-Release in ganz Südwestfrankreich veranstaltet. Ganz einfach: Der Turnierorganisator wohnt nur einen Steinwurf von der Site entfernt und schlurft ganz gemütlich in Sandalen und Pyjamahose durch die Halle.
Ich bekomme einen sehr soliden Pool mit Neuzumi Rasderoc (der discard Typ) und dem sehr guten Kirin infernal, waking nightmare, distress, yamabushis flame, glacial ray und dem extrem guten Descente du Sokenzan.
Typisch französisch ist auch der Typ, der das Pre-Release gar nicht unbedingt spielen will, sondern das ganze Turnier in ein großes Opt verwandelt. Mit den Rares aus dem Pool, den er registriert, ist er so dermaßen zufrieden, dass er auf weitere Aktionen verzichtet, noch vor dem Deckswap droppen will und das auch kann, weil er der Kumpel vom Judge ist, schnell noch die Promo-card nachzieht und fröhlich lächelnd verschwindet.
Dann geht es los. Schöne Eigenschaft französischer Pre-Release Turniere: Für jede gewonnene Runde gibt es einen Booster der neuen Edition. Einfach so.
Das Turnier selbst ist mäßig spannend. Am Ende bin ich zwölfter (oder so) mit 6:2, weil ich gegen den französischen Klon von Martin Engelhardt und dann noch gegen den blöden Cedric verliere, der mich einfach zweimal mit Hidetsugu's second rite grillt und auch sonst nicht so nett ist.
Nebenher muss ich mich auch um die Durchführung meines brillianten Plans kümmern. Ich zeige mich einfach von meiner Schokoladenseite und tatsächlich: Nach 4:0 habe ich hinreichend bewiesen, dass ich würdig bin und man spricht mit mir. Flugs ist vereinbart, dass ich einen 1-A Sitzplatz nach Toulouse sowie MuC geliehen bekomme. Das war ja einfach, denke ich mir (ganz naiv).
Mit ein paar gewonnenen Boostern gepowered mache ich Bribery auf einen Rückbankplatz im Auto von Martin Engelhardts Zwilling und der fährt mich am Abend dann auch bis vor die Haustür. Vorher habe ich dem blöden Cedric noch blutige Rache für das nächste mal geschworen.
Intermezzo et catastrophe
Tatsächlich erinnern sich meine neuen Freunde ein paar Tage später noch an mich. Bei einem Treffen wird ein wenig getestet und ein Deck gebastelt, dass man mir sponsorn will. Es läuft ungefährt auf die Nassif-MuC Version hinaus.
Einschub: In Frankreich geht übrigens grade voll der Bär ab, weil Herr Nassif (oder Gaby, wie er sich in Frankreich zu nennen pflegt) die Regionals mitgespielt hat, obwohl er bereits für die Nationals qualifziert war. Dieser kleine Fauxpas hatte eine Disqualifikation für die Nationals und alle Qualifier zur Folge. Natürliche Reaktion der magic spielenden Franzosen? Na Streik. Was auch sonst...
Zurück zum Thema. Mein Plan steht. Flugs Mtgo runtergeladen und vom freundlichen Herrn Marcus Loydl (Gott segne ihn) die komplette Gaby-MuC Version ausgeliehen (der braucht sie jetzt ja nicht mehr) und online getestet bis mir Moxe und Islands im Traum erschienen sind. Ich komme zum Ergebnis, dass das Deck mit Moxen besser ist als ohne. Generell sollte man damit ganz gut abschneiden können. Nicht zuletzt auch dank der unerklärlichen Liebe der Franzosen zu schlechten rot-grünen Decks und T&N Versionen mit vielen Farben.
Schließlich erfahre ich sogar, dass ich tatsächlich das Recht habe, die Open zu spielen und sogar die Nationals, wenn ich mich qualifiziere. Die Staatsangehörigkeit ist dazu nicht notwendig, es genügt, seit dem 01.01. des laufenden Jahres im entsprechenden Land zu wohnen.
Als alles gerade toll ist, klingelt am Tag vor dem Turnier das Telefon und man erklärt mir kurzerhand, dass leider weder ein Auto, noch ein Deck für mich da sind, weil man lieber gesammelt nach Limoges fährt, um die Open da zu spielen. Irgendein kleiner Bruder bekommt jetzt mein Deck und meinen Sitzplatz und ich hoffe leidenschaftlich, dass der Mensch 0:3 drop damit gegangen ist.
Es ist Samstag Mittag und meine Chancen haben sich grade gegen null reduziert, morgen mit Deck in Toulouse zu sitzen. Aber kneifen gilt nicht, also muss schnell Plan B gezündet werden. Auf in den nächsten Kartenshop, wo gerade ein Type II-Turnier stattfindet. Nicht dass jetzt hier fälschlicherweise der Eindruck entsteht, dass da irgendwie was gehen würde: Es war ein unsanktioniertes 11-Mann Turnier mit geproxten Decks und einem Durchschnittsalter der Teilnehmer, dass sich grob bei 14 eingependelt haben dürfte. Ich setze mich also an den einzigen Tisch, an dem Menschen sitzen, die so aussehen, als ob sie einen Führerschein besitzen dürfen und werde ihr Freund. Ich habe Glück: Es handelt sich um ein paar Abiturienten, die vorhaben, am nächsten Tag in Toulouse ihr erstes Turnier zu spielen. Sie fahren mit dem Auto hin und und haben tatsächlich noch die ganze Rückbank frei. Einer verspricht sogar, mir das Deck seines kleinen Bruders zu leihen, eine "sehr gute T&N Version". Tschakka! (immer noch naiv).
- Timestop –
Aufgrund der versprochenen (angedrohten) epischen Road-stories mache ich zwei Teile aus diesem Artikel, sonst würde er glatt Pischner'sche Ausmaße annehmen. Ich hoffe, ich konnte
in diesem ersten Teil an meinem Beispiel ein bisschen zeigen, wie Magic spielen in der französischen Provinz (d.i. außerhalb von downtown Paris) aussieht. Hervorzuheben ist aber auf jden Fall die außergewöhnliche Freundlichkeit der Leute im Umgang miteinander, auch die Offenheit, die mir entgegengebracht wurde (wenn man von den Pfeifen absieht, die mir im letzten Moment mein Ticket nach Toulouse entrissen haben, putain). Entgegen ihrem Ruf als seeeehr entspannte Menschen, waren alle Turniere die ich in Frankreich gespielt habe (Ausnahme: GP Paris) von allen Beteiligten sehr gut organisiert, liefen ohne jede Verspätung und absolut zügig ab. Respekt dafür.
Das ist das Ende des ersten Teils. Der zweite wird offenbaren, was ich sah, als ich meine "sehr gute T&N Version" begutachten durfte, was ich letztlich draus gebastelt habe, wie ich blutige Rache an Cedric geübt, wie mich dann fürchterlich frisiert habe, warum ich mir selbst ein Warning habe geben lassen und warum ich, obwohl ich (natürlich) alles richtig gemacht, trotzdem nicht gewonnen habe.
Sebastian
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