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Community Ein Standard stirbt von Andreas "Zeromant" Pischner |
02.03.2009 |
(Nachträgliche Anmerkung: Diesen Artikel hier habe ich verfasst, bevor Wizards auf dailymtg.com die völlige Neustrukturierung des Grundsets angekündigt hatten. Jene Entscheidung passt allerdings perfekt zu meinen Gedankengängen hier, und ich werde mich deswegen in einem weiteren Artikel auch detaillert zu dieser Entwicklung im Zusammenhang damit äußern.)
Wisst Ihr, es ist witzig: Erst in jüngerer Zeit (zumindest aus Sicht eines Oldtimers wie mir) hat sich die Bezeichnung „Standard“ wirklich allgemein durchgesetzt. Mir kommt es noch wie gestern vor, dass ich aus dem Mund irgendwelcher 12-jähriger Kiddies hörte, dass sie ein „Typ 2“-Deck hätten.
Heute muss ich sogar fragen: Wer weiß noch, was „Typ 2“ eigentlich ist? Begleitet mich wieder einmal auf einen Ausflug in die graue Urzeit des Turnier-Magic...
IN THE BEGINNING... gab es nur ein Turnierformat. Oder, wenn Ihr so wollt, es gab gar keines. Die allgemeinen Magic-Regeln gaben eine Mindestdeckgröße vor (40 Karten)... und das war's! Schon nach kurzer Zeit allerdings wichen die Turnierregeln von dieser Vorgabe ab und erweiterten sie. Aus der zunächst nur in Amerika existierenden „Duelists Convocation“ wurde die „Duelists Convocation International“, die sich dann mit „DCI“ abkürzte und schließlich – das ist auch der Ist-Zustand heute – dieses Akronym zwar behielt, aber darauf verzichtete, es als Abkürzung für irgendetwas aufzufassen.
Jene Duelists Convocation legte damals die ersten Turnierregeln fest: Decks mussten mindestens 60 Karten enthalten, und von keiner mehr als vier Kopien, mit Ausnahme von Standardländern. Manche Karten durften sogar nur einmal enthalten sein (jene auf der „Restricted List“, die Powerkarten wie Black Lotus oder Channel, aber auch heute merkwürdig ausgewählt erscheinende Kandidaten wie Dingus Egg enthielt), manche überhaupt nicht (die „Banned List“, auf welcher insbesondere die Ante-Karten standen). Außerdem wurde das Sideboard von exakt 15 Karten eingeführt.
Das waren damals DIE Turnierregeln. Es gab keine „Formate“ – noch nicht einmal das Konzept des „Limited“. Schon bald allerdings regten sich in der Spielerschaft Proteste: Ältere Karten waren ja so schwierig zu bekommen! In der „Revised“ Edition des Grundsets waren wichtige Turnierkarten, so wie eben die Power Nine, nicht mehr enthalten, und auch Karten aus Arabian Nights (Library of Alexandria, Juzam Djinn), Antiquities (Mishra's Workshop) und Legends (Nether Void, Moat, The Abyss, Mana Drain) ließen sich nicht ohne größeren Aufwand auftreiben. Man muss sich das einmal vorstellen: Für einen Black Lotus verlangten einige Verkäufer bereits nahezu DREISTELLIGE Dollarbeträge! Wie sollten neuere Spieler unter diesen Umständen den Einstieg in eine von „alten Hasen“ (die teilweise bereits über ein Jahr dabei waren!) beherrschte Turnierszene schaffen?
Die DCI (und damit effektiv natürlich Wizards of the Coast) reagierte. Allerdings nicht ganz auf die Art, wie es die meisten Spieler sich erhofft hatten (nämlich mit einem Nachdruck der alten Karten), sondern mit der Schaffung zweier unterschiedlicher Turnierformate: Die bisherigen Turnierregeln, welche prinzipiell alle Karten (abgesehen von denen auf der Banned-Liste) erlaubten, wurden als „Typ 1“ bezeichnet. Dazu kam jetzt ein weiteres Format, das so genannte „Typ 2“, dessen erste Definition war, dass darin nur Karten gespielt werden durften, die aktuell erhältlich waren. Nein, es gab noch keine festgelegte Rotation: Wizards beobachteten, welche Sets sich noch auf dem Markt befanden (was im Fall von Fallen Empires eine gefühlte Ewigkeit bedeutete), und erlaubte diese explizit. Abgesehen davon entsprach „Typ 2“ in allen Eigenheiten „Typ 1“, einschließlich Banned- und Restricted-Listen.
Schon sehr bald merkten Wizards jedoch, was sie mit der Bezeichnung „Typ 2“ für einen außerordentlich dicken Bock geschossen hatten! Selbstverständlich lag ihnen mehr daran, dass ein einsteigerfreundliches Format gespielt wurde, als eines, welches sich an einen absehbar immer kleiner werdenden Teil der Magic-Szene richtete. „Typ 2“ suggerierte jedoch nachdrücklich, dass es sich hierbei um ein zweitrangiges, ja zweitklassiges Format handelte! Diesem Eindruck versuchten sie entgegenzuwirken, indem sie es – ich denke, es muss 1997 gewesen sein – in „Standard“ umbenannten.
Wizards wollten das vormalige Typ 2 als den STANDARD etablieren, als jene Turnierform, die am meisten angeboten und gespielt wurde. |
Diese Benennung spiegelte Wizards' Absichten nun exakt wieder: Sie wollten das vormalige Typ 2 als den STANDARD etablieren, als jene Turnierform, die am meisten angeboten und gespielt wurde. Damals gab es bereits eine Vielzahl von Constructed-Formaten: Neben „Typ 1“ und Standard existierte Extended, welches einen Kompromiss zwischen dem sich rascher wandelnden Standard und dem beständigen, aber für viele unerschwinglichen „Typ 1“ darstellte (effektiv war es zuerst eigentlich nur ein Format, welches den Spielern erlaubte, ihre Doppelländer zu verwenden, sie aber nicht zwang, sich die Power Nine zu besorgen); dann waren da noch die verschiedenen Block-Constructed-Formate, Ice Age Block Constructed und Mirage Block Constructed; und dann gab es noch das so genannte „Typ 1,5“, welches ursprünglich einfach nur Typ 1 mit einer um die Restricted-Liste dieses Formates erweiterten Banned-Liste darstellte. Oh, und außerdem waren Limited-Formate wie Sealed Deck, Booster Draft und Rochester Draft entstanden, die aber natürlich einer völlig anderen Kategorie angehören.
In der Folgezeit jedoch machten Wizards in für sie höchst unerfreulicher Weise Bekanntschaft mit dem Prinzip der Büchse der Pandora: Die Missgeburt „Typ 2“, einmal als Begriff in die Welt gesetzt, hielt sich hartnäckig in den Köpfen der Spielerschaft – im Rückblick hat es wohl satte zehn Jahre gedauert, bis endlich die Mehrzahl der Spieler von „Standard“ anstelle von „Typ 2“ sprach. Dieses Festhalten an dem veralteten Begriff war sowohl Ausdruck als auch Mitursache eines lang anhaltenden Image-Problems des Formats: „Typ 2“ galt vielen weiterhin als minderwertig gegenüber dem offensichtlich doch viel anspruchsvolleren „Typ 1“. Die Typ-1-Szene, obgleich kontinuierlich schrumpfend, pflegte ein elitäres Selbstbewusstsein als derjenige Teil der Magic-Gemeinde, welches das „richtige“ Magic spielte. Dazu kam die noch viel unseligere Bezeichnung des heutigen Legacy als „Typ 1,5“, welche das System der Rangordnung zwischen den Turnierformaten zementierte. Tatsächlich war das Bedürfnis der Magic-Gemeinde, diese Nomenklatur zu verwenden, so groß, dass sie sogar „1.x“ als Kürzel für Extended einführte!
-Constructed- und Eternal-Formate
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| Typ 2.x— ⇒ —Standard
Typ 1.x— ⇒ —Extended
Typ 1,5— ⇒ —Legacy
Typ 1.x— ⇒ —Vintage
(Block Constructed hieß immer schon so.)
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Wizards kämpfte also mit ihrem Versuch, das „Standard“-Format auch in den Köpfen der Spieler tatsächlich als Standard zu etablieren, einen Kampf gegen Windmühlenflügel, den sie erst zu gewinnen begannen, als sie die grundlegende Ursache der Irritationen beseitigten, indem sie eine konsequente Umbenennung der alten Formate vornahm. „Typ 1“ wurde zu „Vintage“, und das vormalige „1,5“ nach einer Abstimmung in der Magic-Gemeinde zu „Legacy“.
Wichtiger noch: durch die Loslösung Legacys von Vintage (das bis dahin immer noch keine eigenständige Banned-Liste besessen hatte, sondern immer noch die Vereinigung von Banned- und Restricted-Liste des Vintage-Formates benutzte) gewann dieses Format endlich an genügend eigenständigem Profil, dass es das in seiner Konzeption hoffnungslos überalterte und unsinnige Vintage-Format verdrängen konnte. Letztlich war es erst der in den letzten Jahren zu beobachtende Triumph von Legacy über Vintage und der daraus resultierende Abstieg des originalen Magic-Formates in die Bedeutungslosigkeit, der die Zerstörung des „Typ 1“-Mythos ermöglichte. Das aber war, zumindest aus Sicht des Standard-Formates, ein Pyrrhus-Sieg! Darauf komme ich bald noch zu sprechen.
Eigentlich hatte „Standard“, wenn auch nicht in der unterbewussten Wahrnehmung, spätestens seit Anfang dieses Jahrtausends es ja längst geschafft, die Rolle einzunehmen, welche Wizards diesem Format zugedacht hatte: Die allermeisten Turniere weltweit fanden im Standard statt, und nicht zuletzt aufgrund des FNM-Programms war mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit auch für jeden Spielanfänger das erste Turnier, auf das er sich vorbereitete und an welchem er teilnahm, ein Standard-Turnier. „Standard“ WAR mittlerweile das Standard-Format.
Wer von Euch hat in dieser Zeit – sagen wir einmal, zwischen 2000 und 2003 – schon Magic gespielt? Diejenigen erinnern sich gewiss noch daran: Es gab überall und beinahe jederzeit Standardturniere. Hier in Berlin konnte man an beinahe jedem Wochentag ein solches Turnier spielen. Ironischerweise war es übrigens die Einführung der FNMs – eines Programmes, welches nicht zuletzt sicherstellen sollte, dass Läden regelmäßig Standardturniere anboten – welche dieser Entwicklung ein Ende bereiteten, denn vorher hatten die verschiedenen Läden im Großen und Ganzen (es gab schon den einen oder anderen Ruhestörer) miteinander kooperiert und ihre Turniertermine bewusst auf verschiedene Tage gelegt. Der Attraktivität des Friday Night Magic, welches ja am Freitag stattfinden MUSSTE, konnte sich aber natürlich niemand entziehen, und so konzentrierten sich alle darauf, die Spieler an diesem Wochentag bei sich zu versammeln.
Gleichzeitig wurden Nicht-FNMs aufgrund der fehlenden Unterstützung mit schicken Promokarten immer unattraktiver, und da andere Wochentage als Freitag generell terminlich für ältere Spieler problematisch waren, starben die Turniere von Montag bis Donnerstag langsam aus.
Tja, so war das damals... Wer in den Archiven von PlanetMTG in dieser Zeit nachblättert, findet im Regionalteil Berlin-Brandenburg noch meine wöchentlichen Kurzturnierberichte von den Serious-Games-Turnieren. Bei uns wurde drei Mal im Monat Standard gespielt (einmal Sealed Deck), und zeitgleich gab es in ein bis drei weiteren Läden ebenfalls Standard-Turniere. (Auch von denen findet Ihr oft Kurzberichte, abhängig davon, ob sie mir jemand in der jeweiligen Woche zugeschickt hatte.) Dabei war das Niveau dieser Turniere alles andere als niedrig: Die damaligen Berliner Topspieler (zum Beispiel Rosario Maij, Dirk Hein...) traten beinahe wöchentlich dort an, und wenn Ihr ein wenig blättert, werdet Ihr viele Namen finden, welche heute als Berliner Top-Spieler gelten müssen (Toffel zum Beispiel, allerdings normalerweise unter seinem bürgerlichen Namen Thoralf Severin). Standard hatte die Magic-Turnierszene fest im Griff, sowohl quantitativ als auch qualitativ.
Und nun zurück ins Heute: Was ist aus dem „Standard“-Format Standard geworden? Vielleicht habt Ihr ja meinen Blogeintrag auf Zeromagic Lies, Damned Lies & Statistics gelesen. Darin habe ich Daten aus der offiziellen DCI-Datenbank zusammengetragen und ausgewertet. Eine grundlegende Erkenntnis dabei war, dass wir in Deutschland, Österreich und der Schweiz eine völlig andere Situation haben, als sie in den USA besteht! Um das einmal kurz zusammenzufassen: Die Turnierszene in den Staaten blüht und gedeiht, während unsere schrumpft. Dabei ist der rasante Anstieg der gespielten Turniere in den USA im Wesentlichen ein Anstieg des Formates Booster Draft, welches bei uns (ab jetzt beziehe ich mich nur auf Deutschland) eher stagniert. Nichtsdestrotz hat auch Standard in den USA etwas zugelegt (Standard und Booster Draft ergeben dort zusammen knapp 80% aller Turniere), während es bei uns maßgeblich für den Gesamtrückgang verantwortlich ist. (Bei uns machten Standard und Booster Draft allerdings zuletzt nur zwei Drittel aller Turniere aus – in Deutschland sind dafür die Anteile von Sealed Deck und Legacy deutlich höher.)
Die Situation in den Vereinigten Staaten kann ich nicht weiter analysieren – dazu weiß ich zu wenig darüber. Hier in Deutschland allerdings sehen wir eine sehr deutliche Entwicklung: Standard stirbt! Genau genommen stirbt nicht nur Standard – der Rückgang von Extended ist – auf bereits weit niedrigem Niveau – ebenso dramatisch. Und die Limited-Formate gleichen das nicht ansatzweise aus – Sealed verzeichnet ebenfalls spürbare Rückgänge, und Booster Draft, zumindest über die letzten drei Jahre betrachtet, ebenfalls. Das einzige Format, welches sich bei uns nicht nur hält, sondern sogar (aber eben auf niedrigem Niveau) deutlichen Zuwachs verzeichnet, ist Legacy.
Und wisst Ihr was: Alle Zeichen deuten dahin, dass diese Entwicklung sich noch beschleunigen wird! Schaut Euch doch einmal im deutschen Netz um: Wie viele Artikel findet Ihr über Booster Draft, wie viele über Standard, und wie viele über Legacy? Das Verhältnis der Turniere in diesen Formaten war noch 2008 ungefähr 22 (Booster Draft) zu 20 (Standard) zu 5 (Legacy). Spiegelt unsere Artikellandschaft dieses Verhältnis auch nur annähernd wieder? Ihr kennt die Antwort: Wir haben jede Menge Artikel zum Thema Booster Draft und kaum weniger über Legacy als über Standard – ehrlich gesagt, nach meinem subjektiven Gefühl liegt Legacy bereits in Front! Natürlich kann man dies auch durch andere Faktoren erklären. Zum Beispiel könnte es schlicht einfacher sein, über Booster Draft zu schreiben, als über Standard – ein Draftwalkthrough kommt, wie man an so manchem jüngeren Beispiel auch gut erkennen konnte, zur Not ohne jegliche analytische Eigenleistung aus – eine bloße Auflistung von Picks mit einigen dahin geschluderten Kommentaren und einer abschließenden Deckliste. Nur: genauso dünnbretterig lässt sich auch ein klassischer Runde-für-Runde-Turnierbericht von einem Standard-Turnier verfassen, und von denen war das Netz bis vor einigen Jahren noch randvoll! Das hat sich aber geändert.
Nein, die Verteilung der Magic-Artikel auf die verschiedenen Turnierformate ist schlicht auf deren Beliebtheit zurückzuführen! Booster Draft ist einfach erheblich attraktiver als Standard. Selbst Legacy scheint heute bereits attraktiver zu sein. Deswegen sehe ich die Artikelverteilung im Netz nicht nur als einen Indikator des Ist-Zustandes, sondern vor allem auch als Zeichen dessen, was noch kommen wird!
Habt Ihr das Interview von Teardrop mit Ingo Muhs gelesen? Zwei Fragen (und die Antworten dazu) sind besonders aufschlussreich, sowie eine weitere Aussage von Ingo. Ich exzerpiere hier einmal das Wesentliche:
Ingo: „In Sachen Magic-Support befinden wir uns gerade mitten in einer Phase des Umbruchs. Während wir uns lange Jahre fast ausschließlich um das Turnierspiel gekümmert haben, geht der Fokus mehr und mehr auf das Casual Play.“
Teardrop: „In Deutschland gibt es 3 Bundesländer ohne National Qualifier, weil es in diesen Bundesländern keine Shops gibt, die die Anforderungen des WPN erfüllen...“
Ingo: „Um Turniere wie Nationals Qualifier und PTQ angeboten zu bekommen, braucht ein Veranstalter den WPN-Level „Advanced„.[...] Wollen wir ein PTQ an einem Ort, bzw. einem Veranstalter, der nicht in der Lage ist, diese Bedingungen zu erfüllen?“
Teardrop: „Es ist in den letzten Monaten diskutiert worden, dass eines der Probleme des deutschen Magics die Tatsache ist, dass es nur noch so wenige Standard-FNMs gibt...“
Ingo: „ Die Möglichkeit für Neuanfänger, ihre neuen eigenen Karten zu testen, ist das freie Spiel im Gateway.[...] Ob Draft, Sealed Deck oder Standard auf den FNM gespielt wird, obliegt dem Veranstalter. Dieser behält im Auge, welches Format in seiner Community am meisten geschätzt wird, aber auch, ob es seinen wirtschaftlichen Interessen entspricht, ein Format anzubieten, bei dem er selbst keinen direkten Umsatz macht.“
Gerade die letzte Aussage lässt, sobald man genauer über sie nachdenkt, eigentlich an Klarheit nichts zu wünschen übrig: Wizards (zumindest das deutsche Büro) entzieht dem Standard-Format die Unterstützung! Ingo spricht selbst das Problem vieler Veranstalter an, dass bei ihnen in Standard-Turnieren Spieler sitzen, die mit Karten spielen, die sie gar nicht dort gekauft haben (sondern im Internet, wo wir alle unsere Karten kaufen). Während in den letzten Jahren noch Programme ins Leben gerufen wurden, welche die „Expert Stores“ hier unterstützen sollten (vielleicht erinnert Ihr Euch ja noch an Aktionen im Stil von: „Kaufe ein Display bei Deinem Einzelhändler und erhalte ein T-Shirt gratis!“), geben Wizards Deutschland hier schlicht auf! Ingo fordert die Läden implizit auf, anstelle von Constructed-Turnieren Limited-Turniere anzubieten, weil sie dabei zumindest noch eigenes Produkt verkaufen. (Das ist übrigens auch keineswegs immer gegeben – in vielen Läden kann man eigene Booster zum Draften mitbringen!)
Die deutsche Turnierszene hat sich in den letzten Jahren in einem absolut unglaublichen Ausmaß gewandelt. Noch vor fünf Jahren wurde überall wöchentlich Standard gespielt, und dementsprechend war auch das Internet das ganze Jahr über randvoll mit Artikeln dazu. Die Berichterstattung über Randformate wie Vintage oder Legacy war spärlich bis nichtexistent. Extended oder Block Constructed waren – ebenso wie heute – ausschließlich saisonal von Interesse, wenn PTQs gerade diese Formate verwendeten.
Unterdessen ist auch Standard ein saisonales Format geworden. Wisst Ihr eigentlich, dass Standard-Pro-Touren, -Grand-Prix und -PTQs eine eher neue Entwicklung sind? Über lange Jahre wechselten sich auf Pro Touren – und demenstprechend auch bei den Grand Prix und PTQs – Extended und Block als Constructed-Formate ab. Standard wurde im PT-Zirkus ausschließlich an einem Tag der WM gespielt. Und das hat auch gereicht – warum, müsste Euch klar sein: Es wurde ja in aller Welt das ganze Jahr über gespielt! Extended und Block Constructed benötigten den Schub einer PTQ-Saison; Standard nicht. Es ist auch noch gar nicht sooo lange her, da gab es in Deutschland ein wie folgt geordnetes hierarchisches Qualifikationssystem: Verschiedene Veranstalter einer Region organisierten Turniere, auf denen man sich für eine Regionalmeisterschaft qualifizieren konnte. Auf der Reginalmeisterschaft wiederum konnte man dann seinen Platz bei der Deutschen Meisterschaft erkämpfen. (Ja, es gab auch damals schon alternative Qualifikationsmöglichkeiten via Rating oder Pro-Punkte.) So verlief die Standard-Saison, welche mit den Regionals Qualifiern begann und mit der WM endete (eine Europameisterschaft gab es einige Jahre übrigens auch!) von Januar bis August. (Die WM fand fürher im Spätsommer statt.) Mit dem Erscheinen einer neuen Standalone („großen Sets“ in der heutigen Terminologie) im September erhielt das nunmehr brandneue Standardformat dann erst einmal genügend Attraktivität, um die Zeit bis zum Frühjahr zu überbrücken.
Wie Ihr seht, hat sich auch das geändert. Anstelle von Regionalmeisterschaften (die Ebene darunter existierte eh nur kurze Zeit) gibt es heute „National Qualifier“, deren Standorte ausdrücklich NICHT mit dem Ziel einer möglichst gleichmäßigen und gerechten Abdeckung des Bundesgebiets festgelegt werden, sondern um die sich einzelne Veranstalter anhand vorgegebener Kriterien bewerben können (siehe Ingos Stellungnahme). Diese NQs ziehen sich jetzt zwar über einen vergleichbar langen Zeitraum hin wie damals die Turniere auf unterschiedlichen Ebenen, aber ihnen fehlt natürlich die Zugkraft des allgemeinen nationalen Qualifikationsprozesses von früher, in dem jedem potenziellen Teilnehmer sein Weg, beginnend von seinem lokalen Laden, Schritt für Schritt vorgezeichnet war. Vor allem aber fehlt ihnen der begleitende Unterbau, die wöchentlich stattfindenden Standardturniere, auf denen man für seine DM-Qualifikation „trainieren“ konnte. Diese NQs sind effektiv PTQs für die Mini-Pro-Tour „Deutsche Meisterschaft“ – punktuelle Ereignisse, aber keine kontinuierliche, flächenüberdeckende Wettbewerbssaison mehr. Dementsprechend erhält Standard unterdessen auch die gleiche Wertschätzung wie die PTQ-Formate Extended und Block Constructed: Man spielt sie, wenn sie anstehen, aber ansonsten ignoriert man sie. Von einem „Standard“ ist Standard heute weiter entfernt als je zuvor seit seiner Erschaffung!
Die wachsende Popularität von Legacy passt auch zu diesem Gesamtbild. In früheren Diskussionen haben „Typ 1“-Spieler immer gerne das Argument angebracht, dass ihr Goldkettchenformat irgendwie sogar billiger sei als „Typ 2“. (Also „Standard“, aber welcher „Typ 1“-Spieler hätte schon diese Bezeichnung benutzt?) Bei den unglaublich hohen Preisen für die unabdingbaren Power Nine und deren knapper Verfügbarkeit, die jeden echten Zuwachs dieses Formates effektiv blockierte, was das natürlich eine Behauptung, die irgendwo zwischen Milchmädchenrechnung und glatter Lüge anzusiedeln war.
Bei Legacy allerdings sieht es ganz anders aus! Klar, auch Legacy hat seine teuren Staple-Karten – im Wesentlichen die Doppelländer und Force of Will – aber ein kompletes Playset von all diesen Karten kostet weniger als ein einziger Black Lotus, und es sind genügend davon im Umlauf, dass Legacy immer noch erhebliche realistische Wachstumsspielräume besitzt.
Weiterhin besitzt dieses Format im Gegensatz zu Vintage, wo Deckbau in den meisten Fällen mit dem Abtippen der Restricted-Liste beginnt, echte Diversität, und der nicht ganz so absurd hohe Powerlevel erlaubt neben dem absurden Kombogewichse (das es leider dort ebenfalls gibt) auch klassische Strategien – insbesondere auch das Angreifen mit Kreaturen! Alles in allem ist Legacy alles dies, was Vintage von sich bestenfalls mit hinter dem Rücken gekreuzten Fingern behaupten konnte: ein bezahlbares, abwechslungsreiches, ausgewogenes und spaßiges Format, für das nicht mit dem Erscheinen jeder neuen Magic-Edition wieder erhebliche neue Kosten anfallen.
Mit anderen Worten, Legacy gelingt genau dies, was Vintage niemals konnte: Es macht Standard tatsächlich zum großen Teil überflüssig! Legacy bietet nur einen Bruchteil der Nachteile von Vintage und bietet einen Großteil der Vorteile von Standard. Der letzte Schritt zum wirklich populären Format war die Erreichung der kritischen Masse, welche Spielern die Gewissheit gab, dass sie auch tatsächlich Mitspieler dafür finden würden.
Standard besitzt allerdings durchaus noch Vorzüge: Die Rotation bedeutet, dass sich immer wieder ein völlig neues Metagame entwickelt – das Metagame in Legacy ist zwar abwechslungsreich und ausgewogen, aber eben weitgehend stabil. Allerdings hat hier Block Constructed sogar noch mehr zu bieten... Warum eigentlich hatte Wizards damals Standard zum Standard erhoben, und nicht Block Constructed? Würden Extended und Block nicht das Spektrum von „ständiger Erneuerung“ bis „weitgehende Stabilität bei vernünftiger Kartenverfügbarkeit“ abdecken? Nun, ich behaupte, es ging ihnen schlicht darum, dass Anfänger, die ja nach ihren damaligen Vorstellungen mit dem Grundset zu spielen begannen, diese Karten auch benutzen konnten!
Nun haben Wizards allerdings einerseits eingesehen, dass beginnende Spieler eben NICHT mit dem Grundset ihre Karriere beginnen. (Das war übrigens der Gedankengang, der letztendlich zu den Basic-Lands in den Boostern führte.) Welchen Zweck erfüllt Standard, dieses nicht mehr standardmäßig gespielte, zwichen Extended und Block Constructed seine Existenzberechtigung suchende Format, dann heute überhaupt noch? Das war eine rhetorische Frage, also kennt ihr die Antwort bereits: Keinen! Deswegen zeigt Ingo diesem Format in Teardrops Interview auch die kalte Schulter. Standard ist überflüssig geworden! (Wenn Ihr Euch jetzt fragt, welchen Sinn dann Grundsets überhaupt noch haben: Ja, das frage ich mich auch! Ich würde auch nicht darauf wetten, dass es noch eine Zwölfte Edition geben wird...) Den Todesstoß haben ihm nicht zuletzt auch die jüngsten Marketing-Entscheidungen von Wizards versetzt, nämlich die Einführung von Mythic Rares und die sofortige Legalwerdung neuer Editionen, welche der ehemals angestrebten Einsteigerfreundlichkeit von Standard massiv entgegenstehen.
Standard geht aber nicht isoliert unter. Extended ist ihm bereits in den Abgrund des reinen PTQ-Formates vorausgeeilt. Vintage ist sowieso bereits in der Versenkung verschwunden. Legacy, das prophezeie ich, wird sich mittelfristig stabilisieren – vielleicht auf noch höherem Niveau als jetzt, aber mit Sicherheit nicht annähernd so weit oben wie Standard selbst heute noch. (Dann würde übrigens auch die Kartenverfügbarkeit wieder als restriktiver Faktor wirken, aber ich denke nicht, dass es so weit überhaupt kommen wird.)
Es bleibt Limited, und wohin dessen Weg führt, das wisst Ihr auch bereits, oder? Wo draftet Ihr normalerweise? Wo draften die Spieler, deren Walkthroughs und Limited-Analysen Ihr auf deutschsprachigen Magic-Seiten lesen könnt, zumeist? Richtig: Auf Magic Online! Natürlich ersetzen diese virtuellen Drafts nicht das Aufreißen „echter“ Booster und das Spielen mit „echten“ Karten gegen „echte“ Gegner, aber das brauchen sie auch nicht: Sie bieten ihre eigenen Vorzüge, und die sind nun einmal insgesamt weit attraktiver als diejenigen echter Drafts. Insbesondere kommen sie – beinahe jederzeit – ZUSTANDE. Man kann dann draften, wenn man Zeit hat, und muss sich nicht Zeit nehmen, um zu draften (und dann hoffen, dass es auch klappt). Damit können RL-Drafts auf Dauer nicht konkurrieren.
„Wenn Dein Pferd tot ist, dann steig' ab“, so soll angeblich eine alte indianische Weisheit lauten. Wizards of the Coast Deutschland kennen diese Weisheit natürlich auch! Ich zitiere noch einmal Ingo Muhs:
„Während wir uns lange Jahre fast ausschließlich um das Turnierspiel gekümmert haben, geht der Fokus mehr und mehr auf das Casual Play.“
...Sprache ist verräterisch. Selbst, wenn man Dinge eigentlich gar nicht so deutlich sagen will, rutschen sie einem oft doch heraus. Obwohl Ingo selbstverständlich in Übereinstimmung mit seiner repräsentativen Funktion versucht hat, möglichst unverbindlich und gemäßigt zu formulieren, ist er doch deutlicher geworden, als er es wohl vor hatte:
„Mehr und mehr“! – Das ist eine fortschreitende, unaufhaltsame Entwicklung. |
„Mehr und mehr“, sagt er. Nicht „geht der Fokus zur Zeit mehr auf das Casual Play“, oder „geht der Fokus jetzt mehr auf das Casual Play“ – nein, „mehr und mehr“! Das ist eine fortschreitende, unaufhaltsame Entwicklung. Es ist die Aufgabe des Turnier-Magic als Mittel der Promotion. „Mehr und mehr“, das sagt aus, dass da noch mehr kommen wird – oder auch, aus Turnierspielersicht, WENIGER. Wir erleben hier erst den Anfang.
Mit Standard stirbt nicht nur „ein“ Standardformat; es stirbt „das“ Standardformat – vor allem aber ist die Notwendigkeit für ein Standardformat gestorben! Magic benötigt nach Auffassung von Wizards kein Standardformat für (RL-) Turniere mehr, weil es keine (RL-) Turniere mehr benötigt.
Weniger und weniger jedenfalls. Zumindest im deutschsprachigen Raum.
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