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Das Theorem Boosterdraft
von Sebastian Knörr
14.09.2010

Kaum von der Deutschen Meisterschaft zurück verspürte ich den Drang, einen Artikel übers Draften im Allgemeinen zu schreiben. Zum einen weil ich viel gelernt habe (am Wochenende und überhaupt in letzter Zeit), zum anderen weil heutzutage wirklich jeder seine Draftrewiews zum Besten gibt und damit die Community mehr oder minder unterhält.


Seit einiger Zeit faszinieren mich Boosterdraft und die Leute, die gerade diese Disziplin gut beherrschen. Dabei bin ich auf ein Problem gestoßen. Die Kunst des Draftens ist kaum „lehrbar“, weil sie sich sehr stark auf die eigene Erfahrung stützt. Kaum jemand kann auf grobe Ratschläge aufbauend ein guter Drafter sein und mit den starken Leuten mithalten. Wie oft habt ihr euch schon gefragt, warum ihr schlechter draftet als andere oder niemals das stärkste Draftdeck habt?

In diesem Artikel soll es nur um den Draft an sich gehen. Dass ihr spielen könnt, wird der Einfachheit halber vorausgesetzt. Man stelle sich vor, acht Leute spielen einen Boosterdraft und am Ende werden die Decks verglichen und die Plätze 1–8 festgelegt. Man könnte es auch M11 nennen. In kaum einem Expertset ist spielerisch weniger möglich als im Coresetdraft. Es spielen quasi nicht TrashT gegen Bauer Anton, sondern beispielsweise ein UW-Deck gegen ein BGx-Deck, nur dass die Decks jemanden brauchen, der die motorischen Aufgaben übernimmt.

Die Kernfrage lautet also: Wie draftet man ein gutes Deck? Wenn ihr mangels eigener Expertise zu einem erfahreneren Spieler geht und fragt, was man denn draften sollte, so erhaltet ihr meist eine pauschale Information wie zum Beispiel: „Weiß, Blau und Schwarz sind gut; Rot und Grün sind schlecht“, oder: „Draftet aggro“, oder am schlimmsten für alle am Draft Beteiligten „Forct UW!“


Dass man durch solche Tipps kaum zu einem besseren Drafter wird, ist wohl jedem klar. Euch ist wahrscheinlich ebenso bekannt, dass es verschiedene Möglichkeiten gibt, einen Boosterdraft erfolgreich zu absolvieren. Auch die Pros draften teilweise in ein und derselben Situation höchst unterschiedlich, aber der Erfolg kann derselbe sein.

Ich lehne mich einfach einmal sehr weit aus dem Fenster und reduziere die Vielfalt an Entscheidungsmöglichkeiten ganz grob auf drei unterschiedliche Draftstrategien. Die Personen, die ich als Vertreter dieser Strategien aufzähle, habe ich aufgrund eigener Beobachtungen und Eindrücke modellhaft in die jeweiligen Schubladen gesteckt und es ist duchaus möglich, dass ich damit etwas danebenliege. Ich halte es aber für „greifbarer“, wenn ich mit einem Beispiel auf zwei Beinen aufwarten kann.

1)

TrashT-Style: Ich lege meine Farben möglichst spät fest, ich picke fast auschließlich splashbare Karten zu Beginn eines Drafts und es existieren nur wenige Decks, die nicht mindestens eine Karte splashen.

Die sogenannte Surfstrategie ist eigentlich Trashs Markenzeichen und er hat auch schon oft bewiesen, dass er damit erfolgreich ist. In M11 würde Trash also im ersten Booster sehr gerne splashbares Removal firstpicken (Doom Blade, Pacifism), außerdem farblose Karten (Chrystal Ball, Terramorphic Expanse) über solche, deren Powerlevel zwar leicht höher ist, die aber durch ihre Manaanforderungen nicht splashbar sind.

2)

Ich bestimme eine Farbe selber, die andere Farbe wird bestimmt durch meine Mitdrafter. Vertreter: Reinhold Kohl, Bernd Brendemühl

Spieler, die diesem Typen anghören, legen ihre erste Farbe meist durch ihren First Pick fest. Daran ist nichts mehr zu rütteln. Die Zweitfarbe ergibt sich dann durch die Mitdrafter, sie wird eingesurft. Meist bleibt ein knallharter Vertreter dieser Strategie auch gerne eine längere Zeit einfarbig und lässt sich maximal viel Zeit bei der Wahl der Zweitfarbe. In der Regel achten Spieler dieses Typs auf eine gute und ausgeglichene Manakurve und auf eine sehr solide Manabasis. Einen Splash würden sie nur ungern in Kauf nehmen.

3)

Ich drafte keine Farbkombinationen; ich drafte Archetypen. Vertreter: Simon Görtzen

Um diesem Typ anzugehören, muss man ein Draftformat natürlich bereits kennen. Nachdem man in den ersten Picks meist einfach starke Einzelkarten gepickt hat, achtet man akribisch genau darauf, welche Karten für einen bestimmten Archetypen nicht genommen werden, beziehungsweise welche Karten man aus dem ersten Booster zurückbekommen kann. Ist man sich sicher genug, dass dieser Archetyp keinen anderen Vertreter am Tisch hat, so steigt man gnadenlos ein und pickt Schlüsselkarten über an sich besser Einzelkarten. Dabei kann man auch schon mal seine ersten Picks außer Acht lassen. Die Farbkombination wird meistens vom Archetyp bestimmt und nicht von der Farbwahl der Mitdrafter, da man ja auch zunehmend mit späteren Picks etwas anfangen kann.

Die drei Strategien unterscheiden sich alle signifikant voneinander, dennoch kann jede zum Erfolg führen. Es gibt auch keine Anzeichen dafür, dass eine der Stragien den anderen grundsätzlich überlegen wäre. Wichtig bei jedem Spieler ist allerdings, dass er eine dieser Strategien verfolgt. Ist man unkonsequent, befindet man sich „zwischen den Stühlen“ und das führt zwangsläufig zum Fail!


Heute soll es darum gehen, einen bevorstehenden Boosterdraft in einem bestimmten Format erlernbar zu machen! Dafür muss es aber erst einmal möglich sein, über ein Draftformat zu sprechen, und noch wichtiger: ein einheitliches Vokabular zu präsentieren.

Ich versuche zunächst, vier Begriffe im Umfang und Bedeutungsgehalt zu definieren. Alle vier sind in jedem Boosterdraft von strategischer Bedeutung. Der Unterschied besteht in der Präferenz! Doch nicht in jedem Draftformat ist die Präferenz, nach der man draften sollte, gleich. Meine Behauptung ist, dass man eindeutig festlegen kann, in welcher Reihenfolge die vier Präferenzkriterien, die ich im folgenden vorstellen werde, die Picks im jeweiligen Draftformat beeinflussen sollten.

1)

Bombenlastigkeit: Bomben gewinnen. Das Format wird von Rarespoilern dominiert und es gibt genügend davon im Set. Strategie: Lasst euch maximal viel Zeit mit der Wahl der Zweitfarbe oder draftet splashfreudiger, denn es lohnt sich meistens. Ein Rarespoiler in einer Farbe rechtfertigt auch mittelmäßig Picks im vorherigen oder weiteren Verlauf.

2)

Kartenqualität ist Trumpf: Jede Karte im Deck sollte, wenn möglich, stärker/schneller/effizienter sein als eine jeweilige gegnerische Karte. Starke Einzelkarten übertreffen jegliche (mittelmäßige) Synergie. Strategie: Surft in den Draft und splasht alle starken Einzelkarten, die ihr seht. Eine etwas riskantere Manabasis ist das Risiko meist wert, um schwache Karten zu vermeiden.

3)

Manakurve ist Trumpf: In diesem Format dreht sich alles um Tempo. Eine niedrige Manakurve und ein guter Start ins Spiel ist von höchster Bedeutung. Strategie: Bleibt zweifarbig, baut ein aggressives Deck und vermeidet unnötige Splashes!

4)

Archetyplastigkeit: Erfolgreich gedraftete Archetypen übertreffen die Stärke von auf Einzelkarten basierenden Decks bei Weitem. Es ist von immenser Bedeutung, den Archetyp, der frei ist, früh zu erkennen. Strategie: Schaut, welcher Archetyp offen ist, und haltet konsequent an diesem fest.

Ganz offensichtlich gibt es Schnittstellen und von daher ist meine Überlegung ohnehin bloß als Modell zu betrachten; meine Präferenzliste für das Draftformat M11 würde jedoch folgendermaßen aussehen:

Kartenqualität > Manakurve > Bomben > Archetyplastigkeit

Eine Veränderung hat sich im Vergleich zu M10 aufgetan:

Kartenqualität > Bomben > Manakurve > Archetyplastigkeit

(Die Meinungen hierzu können natürlich abweichen, aber genau darum geht es ja: eine Diskussion auf dieser meiner Meinung nach sinnvollen Grundlage zu ermöglichen.)

Hätte mir irgendjemand einen Tipp in dieser Art und Weise gegeben, hätte ich mich wirklich unterstützt gefühlt. Das Ganze ist möglicherweise noch nicht ausgereift und jedes Modell bleibt letzten Endes eben immer ein Modell, doch hiermit lässt sich für jedes Draftformat eine solche Präferenzliste aufstellen, die den grundlegenden Weg in diesem Format angibt.

Ich versuche einmal anhand eines extremen Beispiels zu vedeutlichen, wie ein Draft nach meiner M11-Präferenzliste aussehen könnte:


Als First Pick nehmen wir Doom Blade als deutlich beste Karte im Booster.

Im zweiten Booster befindet sich natürlich überhaupt keine schwarze Karte, es gibt mittelprächtige grüne und blaue Karten, aber die beste Karte ist hier Lightning Bolt.

Als dritten Pick gäbe es wieder schwarze Alternativen von der Stärke eines Child of Night (keine schlechte Karte!), aber diesmal ist beste Karte Forsee. Aufgrund unserer Präferenzliste, draften wir also Foresee. Alles war bisher splashbar und wir legen uns nicht fest.

Im vierten Booster ist noch ein Blinding Mage drin, das muss einfach ein Signal sein. Diesen nehmen wir über spielbare blaue und schwarze Karten.

Von hier an sitzen wir in Weiß genau richtig und wir sammeln nebenbei noch ein paar spielbare blaue Karten auf. Bisher sind wir weiß/blau mit Splash Schwarz und/oder Rot.

Im zweiten Booster öffnen wir Chandra Nalaar, welche wir auf jeden Fall nehmen, entweder als Splash trotz der -Kosten oder sogar als Hauptfarbe, wenn möglich …

to be continued …

Um einen Vergleich ziehen zu können, stelle ich dem einmal meine Präferenzliste für den Triple-Zendikar-Draft entgegen. Wer erinnert sich nicht noch an das rasanteste Format der letzten Jahre, wo Spiele schneller beendet waren, als sie anfingen?

Manakurve > Archetyplastigkeit > Bombenlastigkeit > Qualität der Einzelkarten

Wer sich jetzt wie ich länger damit beschäftigt, wird es schaffen, für jedes bisherige Draftformat so eine Richtlinie aufzustellen. Mit dieser Richtlinie im Kopf sollte man in einen Draft einsteigen und es wird spürbar leichter, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Für jeden Nicht-Draft-Pro ist es in jedem Fall eine Möglichkeit, fehlendes Formatverständnis vereinfacht zu veranschaulichen und mithilfe von Ratschlägen in diese Richtung seine Draftdecks deutlich zu verbessern.


Wer will, kann sich jetzt ja einmal gefeaturte Drafts von Spielern anschauen und daraus Rückschlüsse auf ihr allgemeines Draftverhalten ziehen. Vielleicht war der ein oder andere nicht unbedingt ein guter Drafter, sondern seine grundlegende Strategie war einfach gerade in diesem Environment zufällig genau die richtige Herangehensweise.

Ich bin sehr gespannt auf Kritik, vor allem auf eine saftige Diskussion über das Modell und die Zuordnung von Spielern zu Draftstrategien.

Grüße an die Community!

Sebastian Knörr




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