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Unreal in Paris
von Florian Koch
18.02.2011

Die Grand Tour Paris ist vorbei und ich möchte euch ein bisschen erzählen, wie ich das Wochenende erlebt habe. Bevor mich jemand Egomane schilt, es geht weniger um die nach einem 2:3-GP-Ergebnis unangebrachte Selbstbeweihräucherung als um all das, was nicht in die Coverage gepasst hat.


Mittwoch – Pigalle

ICE sind super, das französische Äquivalent, der TGV, auch. Angenehm, schnell und mit entsprechenden Frühbucherrabatten sogar ansprechend günstig kann ich diese Form des Reisens jedem empfehlen. Wie einst Picasso und van Gogh wohnten wir in der Nähe der Pigalle, also direkt im Rotlichviertel. Nach dem üblichen Rumlaufen/Essen/Schlafen beziehungsweise Nichtschlafen wegen lauter Zimmernachbarn in einem Hotel französischer Bauweise a.k.a. mit genau gar keiner Schalldämmung ging es am nächsten Morgen frisch und leider eher wenig ausgeruht zur Site, die mit der Metro prima zu erreichen war. Ungefähr zur selben Zeit, als wir nicht geschlafen haben, muss es gewesen sein, dass sich Zvi Mowshovitz und in der Folge auch Kai in der letzten Sekunde von einem Deck überzeugen ließen, dass Zvi als „unreal“ bezeichnete.


Donnerstag – Die Site: Unreally Bad


Die Site lag, wie es sich in Frankreich gehört, im Souterrain, was erst mal nicht weiter störte. Die Ausstattung der Halle hingegen störte in meinen Augen durchaus. Als Grand-Prix-Site hätte man es gerade so eben durchgehen lassen können, aber für eine Pro Tour? Die Decken waren niedrig und unverkleidet, sodass das Parkhaus-Flair von GP Disneyland under ground schon fast wieder erreicht wurde. Betonfußboden ist für Spieler schon ätzend, wenn man vier Tage am Stück darauf rumlaufen muss, für Coverage und Funktionäre wird es nicht besser und von den Judges möchte ich an dieser Stelle gar nicht anfangen. Einen Dank an dieser Stelle dafür, dass sie es ohne öffentliches Murren über sich haben ergehen lassen. Habe ich was vergessen? Tatsächlich enthalte ich euch das Schlimmste noch vor. Ich habe ganze drei Herrentoiletten im Gebäude gefunden. Drei für 3000 Spieler?! Zur Verstärkung gab es noch ein paar Dixie-Klos, die kaum auffindbar in einem Innenhof versteckt waren.

Ich mein, dass die Zeiten vorbei sind, in denen man die Queen Mary, das Mainzer Schloss oder die Wiener Hofburg mietet, ist schade, aber irgendwie verständlich, wenn man berücksichtigt, dass Wizards heutzutage gewinnorientiert arbeiten und sich der erwartete Auflauf in etwa verzehnfacht hat. Doch auch bei Convention-Halls gibt es sehr unterschiedliche Standards. San Diego war zum Beispiel ziemlich angenehm. Die Worlds 2003 in Berlin waren super. San Juan war in Ordnung. Pro Tour Berlin am unteren Ende der Zumutbarkeit. Und Pro Tour Paris? Weit jenseits davon.


Die Katakomben

Ich hasse Sightseeing und größtenteils konnte ich mich auch davor drücken, aber um die Katakomben bin ich nicht herumgekommen. Also nach dem ersten Siteseeing zum Sightseeing ans andere Ende der Stadt gefahren und in die Katakomben herabgestiegen wie einst Indiana Jones. Gut, ich musste mich nicht durch den Fußboden hacken, aber was soll's. Dafür habe ich 3000000 fein säuberlich aufgestapelte Tote in dreizehn Minuten gesehen. Keine schlechte Quote und ein ziemlich beeindruckender Anblick. Ob es hier war, dass Hans dem Lhurgoyf begegnete? Seine Angst wäre zumindest ein klein wenig verständlicher …



From Sight to Site

Zurück an der Site. Zvis Unreal Deck wird im Metagame-Breakdown anscheinend unter Tempered Steel geführt. Unreal war jedenfalls die Combined Performance von Kai und Zvi damit. 1:4 für Kai und 2:3 für Zvi reichten für keinen von beiden für den zweiten Tag. Kai hat sich ja schon frühzeitig in unserer Coverage sarkastisch zu dem Deck geäußert: „Zumindest ist man damit schnell fertig und sitzt nicht lang rum.“ Warum er sich von dem Deck überhaupt hat überzeugen lassen? „Ich war kein Stück vorbereitet und Zvi fand es unendlich broken. U/B-Control oder so was völlig unvorbereitet zu zocken, wäre vermutlich nicht erfolgversprechender gewesen.“ Mag sein. Hoffen wir, dass Kai bei der nächsten Euro-Pro-Tour erstens wieder am Start und zweitens wieder so gut vorbereitet ist wie in Amsterdam. Dann würde ich nämlich nicht gegen eine weitere Top 8 von ihm wetten wollen.

Einen ähnlich aufbauenden Tag hat SimonG verlebt, der nach 1:4 mit GW-Quest im gleichen Draftpod wie Kai saß. Zur Raredraftchallenge kam es allerdings nicht, weil Kai rechts von Simon saß und die Challenge damit schon entschieden wäre, bevor sie losging. Die Frage, die Simon sich allerdings mehrfach stellen lassen musste, ist, warum er nicht Valakut gezockt hat.


Die Frage lag nach dem 5:1 auf den Worlds und als Meister für die anerkannt besten Decks des Format zu nahe. „Wir haben einfach keine gute Liste gefunden“ mag zwar eine enttäuschend einfache Antwort sein, ist aber gleichzeitig auch überraschend ehrlich, erwartet man doch eigentlich von einem Pro erster Klasse, dass er in der Lage ist, ein Deck, das er in- und auswendig kennt, ein wenig zu modifizieren, sodass es auch ein Standardformat später noch taugt, insbesondere wenn es nur eine relevante Karte hinzubekommen hat und am Kern des Decks nicht viel zu tunen ist. Stattdessen war Quest for Variance am Start. Und zumindest Simon wurde von der Varianz übel erwischt. Wenn man reihenweise Matchups verliert, die in der Region von 50–60% Gewinnchance liegen sollten, dann geht's eben nicht. Stattdessen spielten die Schweizer Testpartner mit dem Deck am ersten Tag 3:2 bis 4:1 und erreichten nach Simons Angaben alle den zweiten Tag. Für Nico würde es später sogar zur Top 8 reichen. Schade für Simon, Kai und die deutschen Magic-Fans, Glückwunsch an die Schweizer!


Hall of Famer Watch

Den Anblick gewisser Hall of Famer ist man ja gewöhnt. Raphaël Lévy, Gabriel Nassif, Antoine Ruel und Bram Snepvangers sind dem Spiel bekanntlich nie wirklich untreu geworden. Kibler ist seit seiner Rückkehr ebenfalls mehr Dauerprotagonist als -gast auf der Pro Tour, und Kai, Kamiel und Karstens Frank auf einer Euro-PT zu treffen, ist auch die Regel. Olivier Ruel hingegen ist trotz Ring in den letzten Jahren ein wenig in die Riege der Nebendarsteller abgerutscht und zieht daraus die vermutlich richtigen Konsequenzen. Fester Job und Familie statt unter ständigem Druck um die Welt jetten sind bei Olivier jetzt angesagt. Das Antrittsgeld bei der Pro Tour wollte er sich trotzdem nicht entgehen lassen, wo sie schon in der Heimat stattfand, und mit einem am Abend vorher flott zusammengesteckten Haufen à la dreifarbig mit Tectonic Edge und Bloodhusk Ritualist reichte es immerhin noch zu einem Sieg im Feature-Match und einem 3:2. Alle Achtung!

Ein paar Hall of Famer, die man nicht auf jeder Pro Tour treffen kann, waren allerdings auch am Start. Zvi Mowshowitz und Rob Dougherty haben in den letzten Jahren die US-Pro-Touren regelmäßig mit ihren Besuchen beehrt und zumindest im Falle von Zvi war das durchaus von einigem Erfolg gekrönt – diesmal reichte die Zeit offensichtlich sogar zu einem Sprung über den großen Teich, dafür aber nicht mehr, um ein überzeugendes eigenes Deck zu bauen. Ebenfalls mit im Flugzeug saß Dave Humpherys, der aber nicht mitspielen durfte, weil er eins der schicken neuen Wizards-Polos zur Schau tragen musste. Glückwunsch Wizards, einen weiteren fähigen Hall of Famer geschnappt! Die größte Überraschung war jedoch mit Sicherheit, dass der Pro-Player of the Year 1996 und Hall-of-Famer der ersten Stunde Olle Råde mit von der Partie war. Nach ungefähr einem Jahrzent ohne Pro-Magic war Olle ein kleines bisschen Sensation, als er beim Grand Prix in Göteborg – immerhin seiner Heimatstadt – mitspielte, und ich hatte schon vermutet, es habe auch ihn wieder gepackt, aber Kai meinte, er hätte hauptsächlich einen alten Kumpel begleiten wollen und dabei die Gelegenheit genutzt, mal zu schauen, wie eine Pro Tour heute aussieht.

Zu guter Letzt waren noch die üblichen „Hall of Famer to be“ wie Shuhei Nakamura, LSV und PV mit im Rennen sowie drei Herren, die es sich gerüchteweise zum Ziel gesetzt haben, diesem elitären Zirkel bei Gelegenheit beizutreten: Anton Jonsson Eric Froehlich und Patrick Chapin. Während Froehlich diesem Ziel mit einem neunten Platz wohl wieder ein Stückchen näher gekommen ist, lief für Anton am zweiten Tag nicht mehr so viel. Den größten Schritt Richtung Hall hat aber sicher Chapin mit seiner Top 8 geschafft, wobei es für seine Ambitionen bestimmt nicht schädlich gewesen wäre, mal eine Pro Tour zu gewinnen. Immerhin kann er jetzt von sich behaupten, der Mensch mit den am weitesten auseinanderliegenden Pro-Tour-Top-8-Teilnahmen zu sein. Zum ersten Mal war er nämlich bei der dritten WM im Jahr 1996 dabei.

28. Kamiel Cornelissen, 33
47. Frank Karsten, 31
48. Gabriel Nassif, 31
49. Raphaël Lévy, 31
110. Brian Kibler, 27
153. Olle Råde, 21
216. Olivier Ruel, 12
219. Bram Snepvangers, 12
250. Zvi Mowshowitz, 12
275. Rob Dougherty, 11
351. Kai Budde, 9
366. Antoine Ruel, 7


Freitag

Für mich begann an diesem Tag die wirkliche Arbeit oder anders ausgedrückt der erfreulichste Teil des Wochenendes: Die Coverage! Unreal war da zunächst einmal Nico Bohny. 6:0 die Konkurrenz beim Draften das Fürchten gelehrt und einen der vorderen Tische reserviert. Schon kurz nach dem Draft hätte man die Pro Tour übrigens beenden können, denn da waren die ersten Acht: Lemoine, Stark, Froehlich, Marr, Bohny, Martell, Turtenwald und Rietzl. Schade in erster Linie für Owen Turtenwald, der immer unglaublich loslegt – er hat mittlerweile drei erste Tage von GP zu null gespielt –, dann aber leider auch meist ein wenig abfällt.

Weniger vom Glück gesegnet war an diesem Tag Martin Juza. Der war mit 5:0 in die Pro Tour gestartet und gewann in den darauffolgenden Runden noch ein einziges weiteres Match, bevor er entnervt droppte.


Zwischendurch bat ich ihn allerdings noch zum Interview. Als Einleitung erzählte ich den Interviewees jeweils, dass ich einen Preview-Artikel für die Saison geschrieben habe und die Fragen nun so eine Art Follow-Up zu dem Artikel seien. Habt ihr den Artikel gelesen? Juza hatte ihn jedenfalls gelesen. Schluck. Okay, nicht versuchen rauszureden, Haltung bewahren und trotzdem weitermachen. „You are not pissed?“ – „No. That's okay.“ Gut Vorzeichen geklärt, dann wird's schon laufen. Ich fragte ihn natürlich nicht, ob er sich nicht auch für overrated hält, aber meine Begründung dazu war, dass ihm auf dem allerhöchsten Level bisher immer die Durschlagskraft fehlte. Seine Antwort bestand im Prinzip darin, auf die Ergebnisse der Saisons 2008 und 2009 zu verweisen. Es steht grob schon in der Coverage, aber ich hab es gerade selbst noch einmal recherchiert.

2007
Platz 232 in Valencia
Platz 34 auf Worlds

2008
Platz 10 in Kuala Lumpur
Platz 19 in Hollywood
Platz 6 in Berlin
Platz 50 auf Worlds

2009
Platz 11 in Kyoto
Platz 83 in Honolulu
Platz 7 in Austin
Platz 41 auf Worlds

2010
Platz 30 in San Diego
Platz 107 in San Juan
Platz 115 in Amsterdam
Platz 40 auf Worlds

2011
Platz 160 in Paris

Also, mithalten kann er offensichtlich. Die Saison 2008 war unglaublich, die Saison 2009 sehr, sehr gut und 2010 lief für seine Verhältnisse nicht so besonders. Fakt ist, Martin Juza hat, seit er auf der Tour ist, einen einzigen Cut zum zweiten Tag verpasst und zwar den auf seiner ersten Pro Tour. Auf allen zehn anderen Pro Touren (ohne Worlds) hat er am zweiten Tag mitgespielt und auf den vier Turnieren, wo es keine Cuts gab, Worlds, war er Top 50. Jedenfalls ist es vor diesem Hintergrund durchaus naheliegend, dass die Bezeichnung „overrated“ unzutreffend ist. Treffender wäre gewesen, an der Stelle in meinem Preview-Artikel auf das Dilemma der auf hohem Niveau konstanten Pros hinzuweisen. Frank Karsten hat da den Staffelstab an Martin Juza weitergegeben. Jener hatte nämlich mal einen Artikel darüber geschrieben, dass es sich zwar toll anfühlt, immer Day 2 zu machen und am Ende immer ungefähr in der Top 32 zu landen, die Sache aber auch einen entscheidenden Nachteil hat: Less money, less fame! Das, was Guillaume Matignon, Brad Nelson, Paul Rietzl und zu einem gewissen Grad auch Brian Kibler machen, ist nämlich deutlich effektiver: Einmal den zweiten Tag nicht geschafft, beim nächsten Event dafür Top 8. Denn auch wenn die Amis für ihre Second-Place-is-first-Loser-Mentalität bekannt sind, zählen Top 8 bei Magic eine Menge. An den Menschen mit sieben Top 8 erinnert man sich, an den Menschen mit sieben neunten Plätzen bestenfalls als Kuriosum. Dazu kommt dann eben noch, dass die neunten und zehnten Plätze schmerzlich weniger Geld bringen als die Top-8-Platzierungen. Die zwei Punkte, die Juza in Kuala Lumpur und Kyoto zu wenig hatte, haben ihn 5000–8000 US-Dollar gekostet. Zum Abschluss dieser Thematik kann ich mich nur bei Martin bedanken, dass er, obwohl ich ihn gedisst habe und er gerade einen ultramiesen Run hatte, willens und in der Lage war, mir ein sehr freundliches Interview zu geben.


Ze Germans in Paris

In den letzten Jahren haben die Deutschen auf französischem Boden Erfolge feiern können, aber diesmal waren es eher die Amerikaner, die zeigten, wo es lang geht. Insbesondere die Spieler, mit denen man nach den letzten Turnieren hätte rechnen müssen, also die Level-4+-Pros hatten einen der schlechtesten Läufe ever. Der erfolgreichste aus dieser illustren Gruppe war Tobi Gräfensteiner mit zwölf Punkten, nicht eben erfolgreich. Stattdessen waren es Rookies und alte Hasen, die es in die Preisränge schafften. Jeweils mit einer Pro-Tour-Top-8 von früher ausgestattet erreichten Christian Hüttenberger und Wolfgang Eder die Preisränge. Hütti war als 19. sogar bester Deutscher. Kann den Mann bitte wer überzeugen, dass er nach Nagoya fliegt? Bei den neuen Talenten waren es Jonas Köstler als 23. und Fabian Thiele als 20., die für Aufsehen sorgten. Jonas hat sein Potenzial in Bochum schon unter Beweis gestellt, als wirklich unbeschrieben hingegen darf man wohl Fabian Thiele alias fabfoe bezeichnen. Der war mit seinem 20. Platz auf seiner ersten Pro Tour überaus glücklich. Das missgönnt man ihm sicher nicht und ich möchte es keineswegs schlechtschreiben, aber der Hinweis sei gestattet: Es hätte auch Top 8 sein können. Am ersten Tag hat Fabian wohl ein Match aufgegeben, das er hätte drawen können, und am zweiten Tag wurde mit Hütti gedrawt, mehr oder weniger absichtlich. Drei Punkte mehr und wo landet man? Auf Platz 9 mit dem feinen Unterschied, dass die weiter oben dann eventuell nicht drawen können. Hättste, wennste, könnste zählt nicht, aber Top 8 wäre zumindest theoretisch möglich gewesen. Dennoch oder gerade deswegen beeindruckend für die erste Pro Tour.

Auch wenn es schade ist, dass kein Landsmann Top 8 gemacht hat, insgesamt war das Abschneiden der deutschen Spieler doch recht erfolgreich. Unter den besten 23 Spielern waren elf Amerikaner, fünf Japaner, drei Deutsche und jeweils ein Spieler aus vier anderen Ländern. Auch unter den besten 64 Spielern waren die deutschen Spieler am dritterfolgreichsten. Das gibt doch Hoffnung für die nächsten Pro Touren. Einziger Wehrmutstropfen dabei war, dass die Conversion to Day 2 mit 34,4% leicht unter dem Erwartungswert von 35,7% lag.


Giants Waking

Die Performance der Amerikaner auf der Pro Tour hat im Prinzip fast das komplette letzte Jahrzent lang zu wünschen übrig gelassen. Die letzte richtig gute Saison war 2002–03. Danach ging es bergab und stabilisierte sich auf niedrigem Niveau. Das fällt bei den Amerikaner meist nicht so auf, da niedriges Niveau heißt, dass normalerweise trotzdem ein bis zwei Spieler in der Top 8 sind, aber wenn man mehr als ein Drittel der Spieler stellt sollte der langfristige Schnitt sich eher der Drei annähern als deutlich unterhalb der Zwei zu liegen. Die gegenläufige Entwicklung begann in der Saison 2009, setzte sich 2010 fort und findet in Paris seine Bestätigung. Sechs der zehn besten Spieler waren Amerikaner und in den einzigen beiden Top-8-Matches, in denen Amerikaner auf Nichtamerikaner trafen, also in den Semifinals, gewannen jeweils die Amerikaner. Im Schnitt stimmt es zwar immer noch, was Paul Rietzl nach der PT Amsterdam in seinem immer noch sehr lesenswerten Bericht schrieb: Wenn man gegen einen Amerikaner spielt und ihn nicht vom Sehen kennt, ist das fast immer ein gutes Zeichen. Aber zum Ausgleich haben sich mittlerweile ziemlich viele Amerikaner mit regelmäßig guten Ergebnissen in unser Gedächtnis gebrannt.

Die andere große Magic-Nation, Japan, hat 2010 verschlafen. Zumindest kommt man zu dem Schluss, wenn man die Top-8-Ergebnisse betrachtet. Faktisch war aber auch letztes Jahr, einem Japaner auf der Pro Tour gegenüberzusitzen, immer ein Zeichen dafür, dass ein schwieriges Match anstand. Der durchschnittliche Japaner war im Schnitt ganze 50 Plätze besser als der durchschnittliche Amerikaner. Aber auch in der Spitze gibt Paris ein wenig Anlass zur Hoffnung, haben die Japaner diese Saison mit einem vierten und einem achten Platz in Paris doch schon mehr erreicht als in der kompletten vorangegangenen Saison, in der es nur zu zwei siebten Plätzen reichte.


Samstag

Anstelle von Schreibarbeiten war Magic-Arbeit angesagt. Der Grand Prix enttäuschte in seiner Größe ein wenig, was man schon daran merkte, dass es eine Late Registration gab. Das bedeutete in erster Linie mal, dass sich bisher keine 2800 Spieler angemeldet hatten. Am Ende waren es 2182 Spieler und damit wurde Paris nicht einmal zum größten Grand Prix aller Zeiten. Tatsächlich war die Veranstaltung deutlich kleiner als die in verschiedenen Kristallkugeln vorausgesagten 2500–2800 Spieler. Ich bekam dann zum Deckbauen einen Stapel Karten, der zwar Skithiryx, the Blight Dragon und Tangle Angler enthielt, aber leider kein gutes Infectdeck. Stattdessen entschied ich mich für das Varianzdeck mit zwei Bloodshot Trainee, Copper Carapace, Grafted Exoskeleton und Barbed Battlegear. Beim Testen schlug sich mein Deck eher mittelmäßig, aber vielleicht hatten die anderen ja gute Decks und ich doch Chancen?


PoY Y?


Weitgehend unbeachtet fand derweil das Player-of-the-Year-Match statt. War auch kein Wunder, von den 2182 Grand-Prix-Teilnehmern hatten geschätzte 2180 Besseres zu tun, als sich dieses Match anzuschauen. Vielleicht hätten Wizards das Match zwischen Pro-Tour-Finale und -Halbfinale legen sollen. Im Nachhinein war es gut, dass sie es nicht gemacht haben, denn die Finalrunden dauerten ewig. Vielleicht war es sinnvoll, wie sie es gemacht haben, aber für all den Wirbel, den man um dieses Match erzeugt hat, bekam es vor Ort nicht die gebührende Aufmerksamkeit.


Five Rounds towards Misery

Im Grand Prix begann inzwischen Runde 3. Die für mich erste Runde war direkt ein Riesenkampf. Ich verlor das erste Spiel knapp und die beiden anderen gewann ich ebenso knapp. Das Gleiche wiederholt sich in der nächsten Runde. Während des Matches saß Paul Rietzl in meiner Nähe und ich wunderte mich natürlich ein wenig, wie auch sein Gegner, aber Paul meinte, er musste sich registrieren, um seine Level-7-Antrittsprämie einzusammeln. In der nächsten Runde gewann ich ein sehr knappes Spiel, verlor dann ein ebenfalls knappes Spiel und bekam den Blow-Out im dritten präsentiert. Gleiches Bild in Runde 6 und damit stand ich auch schon mit dem Rücken zur Wand. Der Mensch, der mich in Runde 7 schließlich eliminierte, war extra aus den Staaten angereist, um mittelmäßiges Magic zu spielen. Na ja, was soll ich sagen, ich bin auch schon nach San Diego geflogen, um 0:1 und schlechtes Magic beim LCQ zu zocken. Er wird wohl mit seinen Kumpels 'ne gute Zeit in Europa gehabt haben (say yes to Anglizisme n), so wie ich damals 'ne schöne Zeit an der Westküste hatte.


Meckern gehört zum guten Ton

Eliminiert und ein wenig deprimiert schaute ich mal, was sonst so läuft. Hütti meckert ungefähr immer, wenn man ihn trifft über sein Deck, stand aber 7:0. In der Nachbarhalle kann ich mir anschauen, wie der Mensch Kai gegenüber vor Nervosität fast vom Stuhl fällt und schließlich 1:2 verliert. Man hört, Kai sei ebenfalls nicht glücklich mit seinem Deck gewesen. Die Kritik war wohl ungefähr, dass der Pool nur eine Bombe und noch nicht einmal Shatter habe. Nun ja, zum 8:0 scheint es irgendwie gereicht zu haben. Eine Runde später gab's das Feature-Match gegen Shuhei Nakamura und ich kann mir nicht helfen, aber der Fisch am Tisch war Shuhei. Shuhei spielt natürlich feinstes Magic, wie man das von ihm gewohnt ist, aber Kai ist Kai, wie man das von ihm gewohnt ist. Nach dem Match fragt sich Kai, wie er ein Spiel verlieren konnte, in dem er Cerebral Eruption für fünf gespielt hat. Antwort: Shuhei hatte die Flossen voll Removal und Kai war ein wenig flooded. Das Match gewinnt Kai allerdings trotzdem. Ich habe unzählige Feature-Matches gesehen und auch Dutzende Male beim Draften damals noch zu Kölner Zeiten gegen Kai gespielt, aber ich glaube ich hatte vorher live kein Feature-Match von ihm gesehen. Ich bin beeindruckt. Andere Leute auch: 9:0 und später am Abend dann noch 10:0..


Sonntag – Really Unreal: Paul Rietzl


Ich stand früh auf, um an der Site ein wenig teamzudraften. Als ich ankam, war natürlich noch kaum jemand anders da, der Lust hatte. Wäre ich am Vorabend bei der Decksuche für den PTQ nicht gefizzelt, hätte ich jetzt eh Besseres zu tun gehabt, aber so konnte ich mir die Top 8 aus nächster Nähe anschauen. Das macht auch Spaß, insbesondere wenn ein Freund Top 8 zocken darf. Go go, Nico! Bevor es losgehen konnte, mussten aber erst mal die letzten fehlenden Spieler zur Top 8 gebeten werden. Es wurde nicht namentlich erwähnt, aber Paul Rietzl war spät dran. Kein Wunder, ist ja auch alles ziemlich knapp, wenn der GP-Draft um acht losgeht und man dann noch schnell sein Deck registrieren muss, aber schon um neun am PT-Top-8-Tisch sitzen soll. An der Stelle muss ich mal die Frage an Wizards richten: Warum genau lässt man sich so vorführen? In den Pro-Tour-Dokumenten stand ausdrücklich drin, dass Top-8-Spieler nicht am Grand Prix teilnehmen. Dass Paul eine gute Show geboten hat, war natürlich schön für alle Beteiligten, aber was sollte das? Es wäre wohl möglich und nicht übermäßig unfair gewesen, dem Spieler der gleich 20000 Dollar gewinnen wird, zu verwehren, die 250-Dollar-GP-Antrittsprämie einzusammeln. Stellt man Regeln nicht dafür auf, dass sie eingehalten werden? Sollten sie nicht für alle gelten? Sogar für den vielleicht heißesten Spieler im Augenblick? Scott Larabee wird's wissen, hoffe ich mal.

Schade oder peinlich, je nach Sichtweise, ist auch, dass es keine anständige Übertragung der Viertelfinale gab. Die Feature-Match-Area war zu klein für Tische und Kameras, wie man hörte. Dabei fand ich diese Neugestaltung eigentlich ganz schick. Das Café Noir, wie die Feature-Match-Area in Paris hieß, hat mehr Magic-Bezug als dieses Akropolis/Colossuem-Ding, dass es bis dato auf der Pro Tour gab. Außedem bin ich eher ein Freund von Understatement als von Größenwahn.

Nicos erstes Game sah recht gut aus, als ich dazukam, aber der Japaner konnte ihn einigermaßen unter Kontrolle halten, und spätestens als Gideon Jura das Spiel betrat, ging Nicos Spiel den Bach runter, obwohl er vier Vengevine am Start hatte. Das zweite und das dritte Game entschied er für sich er, eins davon, indem er zwei Glint Hawk ausspielte, obwohl er kein einziges Artefakt auf dem Feld hatte. Manchmal reicht es, einen prall gefüllten Friedhof zu haben. Bei 2:1-Führung würde Nico zumindest in einem Game noch anfangen dürfen, so er nicht direkt gewinnt. Er spielte gutes Magic und das Matchup war interessant und vielleicht sogar ein wenig zu seinen Gunsten. Es folgte Mulligan auf vier. In Anbetracht dessen war das Spiel sogar noch recht knapp, aber dafür kann man sich nichts kaufen und leider unterlag Nico auch im entscheidenden Spiel, dank Mulligan auf fünf.

Während Nico und Naoki mischten, lief ich immer mal wieder zum Match von Paul Rietzl und Pat Chapin. Chapin wirkte die ganze Zeit ziemlich nervös, Rietzl dagegen strahlte eine unglaubliche Selbstsicherheit aus. Man könnte dieses Selbstvertrauen als Arroganz missdeuten, aber es ist einfach die Sicherheit, die ein Mensch hat, der zu 100% exakt weiß, was er tut. Die Ausstrahlung, die daraus resultiert, kann so stark sein, dass sie manche Gegner einfach lähmt, wie beim Kaninchen und der Schlange. Rietzl hatte diese Präsenz am Tisch. Dass Chapin extrem nervös wirkte, verstärkte den Kontrast natürlich noch. Am Ende dauerte es ungefähr eine Stunde bis er Chapin 3:0 abgefertigt hatte. „Paul, pairings for round 12 are up.“ Normale Menschen würden jetzt interviewt.


Team-Draft: Unreal

Nachdem die beiden spannenden Viertelfinals vorbei waren, gab es ein paar Leute, die draften wollten. Mein Team bestand aus Simon, Sok-Yong und mir. Die Gegner waren mir unbekannt, und da ich nicht mehr alle Namen weiß, verzichte ich mal auf Versuche, sie wiederzugeben. In einem 6-Mann-Draft hat Simon es geschafft, der einzige Infectdrafter zu sein, und zwei Putrefax eingesammelt. Ich war der einzige Weißdrafter und bekam zwei Elspeth Tirel. Sok-Yong musste mit einem normalen, soliden Deck vorliebnehmen. Er hat Tezzeret aufgemacht und Schwarz-Blau gedraftet. Zusätzlich gab es am Tisch noch zwei Mox Opal, wir wollten also nicht nur unsere Decks vorführen, sondern auch den Draft gewinnen. Unsere Gegner konnten allerdings besser mithalten, als man vermuten sollte, wenn man die Qualität unserer Decks sieht. Am Ende gewannen wir 5:2 und ich durfte Tezzeret, Agent of Bolas einstecken. Donnerstag hätte ich bei Babak noch welche für 27 kaufen können, mittlerweile kaufte Jens sie für 25 an und für 40 weiter. Twice the man he used to be


Von den Halbfinalen bekam ich währenddessen nicht viel mit, außer das Rietzl seine Grand-Prix-Gegner mittlerweile in die Feature-Match-Area zu sich bat. Glück für ihn, dass sich das Match zwischen Stark und Martell so lang hingezogen hat. So verlor er am zweiten Tag nur zwei Matches, eins aufgrund eines Match-Losses wegen Nichterscheinen und eins so. Wenn er das gewonnen hätte, wäre er Top 8 in beiden Turnieren gewesen.


Kai Doesn't Win on Sundays?

Ungefähr so klang es zumindest bei Torben. Wahr ist, dass Kai seine letzten beiden Top-8-Matches verloren hat. Das sind zwei Niederlagen, aber vorher hatte er auch schon in neun anderen Top 8 Matches nicht gewonnen. Dem gegenüber stehen 14 Siege bei Pro Touren und Grand Prix, macht 50:11 in Top-8-Matches. Jeden, der diese Quote auf seinem FNM erreicht, kann ich beglückwünschen.

Für Kai bedeutet diese 25. Top 8, dass er ab sofort mit genau 500 Pro-Punkten geführt wird, als erster und für die nächste Zeit wohl auch einziger Spieler.


Americans Don't Lose on Sundays!

Zumindest nicht in Paris. Dass Amerikaner in der PT-Top-8 nur gegen Amerikaner verloren, habe ich schon erwähnt, aber beim GP zeigte sich das gleiche Bild. Die einzigen beiden Amerikaner, die beim Grand Prix die Top 8 erreichten, trafen sich im Finale. Der größte „Nutznießer“ dieser Dominanz war natürlich Ben Stark, der ein spannendes Finale für sich entscheiden konnte, das die beiden Kommentatoren schon fast als von Vornherein entschieden ansahen – entschieden zu seinen Ungunsten wohlgemerkt. So spannend das Finale war, schöner wäre es wohl gewesen, wenn sie einen Kameramann gehabt hätten, der wahlweise etwas von Magic oder seinem Handwerk versteht. Die Großaufnahmen von Ben Starks Arm in unscharf waren keine willkommene Abwechslung zu dem Spielgeschehen, das sowieso viel zu häufig nur zum Teil auf dem Schirm war. Wieso war die Kamera auf einmal so schwach? Habe ich Kamerführung bei Wizards nicht auch schon in gut gesehen?


All That Thanks to Brad Nelson

Das denkt sich Christian Hüttenberger vermutlich gerade, zumindest ein bisschen. Der musste auf der Pro Tour nämlich in Runde 12 gegen den zu diesem Zeitpunkt noch nicht amtierenden Player of the Year ran. Was war passiert? Hütti spielte Ratchet Bomb, tappte einen Sumpf und stellte fest, dass er die falsche Karte in den Fingern hatte. Spielen wollte er nämlich Ichor Wellspring und nicht Ratchet Bomb.


Verständlicherweise wollte er diesen Fehler korrigieren, sehr zum Missfallen seines Gegners. Es wurde ein Judge gerufen und der urteilte deutlich entsprechend der Regeln zu Hüttis Gunsten, was Brad nicht akzeptieren wollte und appealte. Es dauerte eine Ewigkeit, bis der Headjudge kam, weil er gerade anderweitig beschäftigt war. Daher versuchte Christian das Ganze beschleunigen, indem er Brad anbot, ihm einfach die richtige Karte zu zeigen. Wer kann schon was gegen Ichor Wellspring haben? Brad lehnte ab. Schließlich kam der Headjudge und bekräftigte natürlich das Ruling seines Floor-Judges. Das Ergebnis war, dass Hütti sich dachte: „So nicht mein Freund, jetzt wird richtiges Magic gezockt.“ Das nächste Match, das Christian an diesem Wochenende verlor, war das erste Match im zweiten Draft des Grand Prix an Day 2, achtzehn Runden später. Zu dem Zeitpunkt war er schon quasi sicher in der Top 8. Um das höchste Total-Rating der Welt zu erreichen, was er zwischendurch als Ziel proklamiert hatte, reichte es leider dennoch nicht. Selbst wenn er den Grand Prix gewonnen hätte, stünde er jetzt „nur“ bei fast exakt 2300, immer noch zwölf Punkte hinter dem Mann des Wochenendes: Ben Stark.




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